Full text: Intoxicationen, Zoonosen und Syphilis (2. Band, 1. Abtheilung)

  
  
  
  
196 Falck, die klinisch wichtigen Intoxikationen. 
bei der Arthralgie. die Gelenke keine entzündliche Schwellung verrathen 
und die constitutionellen Erscheinungen der Bleidyskrasie zu bemerken 
sind. Bei den gewöhnlichen Neuralgien findet man den Schmerz streng 
an den Verlauf eines Nerven gebunden und in dessen ganzem Gebiete 
verbreitet, was bei der saturninen Arthralgie nicht der Fail ist. Bei den 
syphilitischen Affectiionen der Gliedmassen fehlen die Erscheinungen der 
saturninen Dyskrasie, während bald nächtliche Knochenschmerzen, bald 
Exostosen und Auftreibungen des Periosts, bald andere Erscheinungen der 
Syphilis zu bemerken sind. Ueberdies versteht sich von selbst, dass die 
anamnestischen Verhältnisse zur Sicherung der Diagnose immer zu berück- 
sichtigen sind. 
PROGNOSE. 
$. 194. Die Prognose hat bei der saturninen Arthralgie nichts Un- 
günstiges, da das Leiden gewöhnlich in kurzer Zeit schwindet und nur 
höchst selten einen fatalen Ausgang nimmt. Nur wenn das Uebel chro- 
nisch wird oder zur Entstehung von Paralysen, Contracturen oder Hirn- 
leiden Anlass gibt, ist die Vorhersage schlimm zu stellen. 
PATHOGENESE. 
$. 195. Offenbar ist die Arthralgie für das Cerebrospinalsystem und 
die animalische Muskulatur dasselbe Leiden, was die Kolik für das sym- 
pathische Nervensystem und die vegetabilische oder splanchnische Mus- 
kulatur ist. Das eine Leiden ist, wie Tanquerel sich ausdrückt, das 
Abbild des anderen. Ursachen, gesteigerte Sensibilität, perverse Con- 
tractilität und Functionen der leidenden Theile, Verlauf, Dauer, Ausgänge, 
— kurz Alles ist bei beiden Bleikrankheiten ganz analog. Ensteht nun die 
Kolik durch Einwirkung von Bleimolekulen auf die splanchnischen Nerven 
und deren Centren, so muss man annehmen, dass die Arthralgie durch 
Einwirkung des Bleis auf die Cerebrospinaleentren und deren Nerven zu 
Stande kommt. 
BEHANDLUNG. 
$. 196. Tanquerel liess 35 an Arthralgie leidende Individuen 
ohne active Behandlung und sah 22 davon in 10—12Tagen genesen. Die 
13 übrigen Patienten mussten zur Heilung des Leidens einer andern Be- 
handlung (Schwefelbäder) unterstellt werden. Aus diesen Thatsachen 
geht hervor, was der Organismus an und für sich bei Ruhe und Diät 
zur Beseitigung der Arthralgie vermag. Nicht viel günstiger stellen sich 
die Resultate der therapeutischen Bestrebung, wenn arthralgische Patien- 
ten mit einfachen aromatischen Bädern oder mit Dampfbädern, oder mit 
Purgantien und Opiaten (Charitebehandlung) oder mit Crotonöl, oder mit 
Laudanumklystiren u. s. w. behandelt werden. Dagegen liefert die Be- 
handlung mit den Schwefelbädern sehr günstige Resultate. Von 90 ar- 
thralgischen Individuen heilte damit Tanquerel nicht weniger als 80 in 
einer durchschnittlichen Zeit von 4—5 Tagen. Man bereitet diese Bäder, 
indem man 5—6 Unzen Schwefelkalium in Wasser auflöst und dem Bade 
zufügt. Ist die Haut des Patienten mit Blei inprägnirt, so bedeckt sich 
dieselbe im Bade mit schwarzem S@hwefelblei. Will man die Wirkungen 
der Schwefelbäder noch etwas unterstützen, so kann man Purgantien dar- 
reichen, was bei kräftigen Individuen, wegen der zu befürchtenden Reei- 
dive immer vortheilhaft ist. Complicationen der Arthralgie müssen be- 
greiflich immer besonders berücksichtigt und behandelt werden. Von 
Nahrungsmitteln gibt man während der Kur nur Wassersuppen, Hafer- 
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