Full text: Intoxicationen, Zoonosen und Syphilis (2. Band, 1. Abtheilung)

  
  
8 Falck, die klinisch wichtigen Intoxikationen, 
Leben merklich Abbruch thun, davon ist Jedermann so sehr überzeugt, 
dass man dieselben unter die gefürchtetsten Substanzen rechnet. Kann 
somit kein Zweifel darüber bestehen, dass den Contagien alle Merkmale 
der Gifte zukommen, so fragt es sich nur noch, ob an den Contagien an- 
dere Merkmale aufzufinden sind, welche zu den, den Giftbegriff constitu- 
irenden Merkmalen nicht gehören. Mit Rücksicht hierauf hat man gesagt, 
dass den Contagien, welche aus dem kranken Organismus hervorgehen, 
eine andere Genese, als den Giften zukomıine ; dass die Contagien, indem 
sie von einem Organismus auf den andern übertragen werden, sich fort- 
dauernd regeneriren und reproduciren, was bei den Giften keineswegs 
der Fall ist, und dass endlich die Contagien abweichend von den Giften 
die Eigenschaft hätten, den Zustand der Zersetzung, in welchem sie sich 
befinden, durch eine Bewegung in ihren Molekulen auf die Körper zu 
überiragen, mit welchem sie in unmiltelbarster Berührung sind. Hierzu 
ist zu bemerken, dass die Contagien in chemischer Beziehung keineswegs 
zu den bekannten und wohl charakterisirten Substanzen gehören, und dass 
es deshalb nicht zu bestimmen ist, ob ihr wirksamer Bestandtheil nicht 
auch anderweitig dargestellt werden kann. Ist es ja doch den Chemikern 
gelungen die Ameisensäure, die spirige Säure, die Schwefelblausäure, den 
Harnstoff und andere organische Stoffe, die in dem Thierkörper erzeugt 
werden, auch durch Kunst zu gewinnen. Ueberdies kommt auch die Ge- 
nese bei der Bestimmung der Gifte sicher nicht in Anschlag. Was den 
dritten Differenzpunkt der Contagien und Gifte betrifft, so hat man damit 
sagen wollen, dass die Contagien molekularmechanisch wirkten, was bei 
den Giften nicht der Fall sein soll. In der That erklärte noch neulich 
Schneider *) in Wien: „Die Wirkungsweise dieser Körper (Contagien) 
scheint weniger chemisch, als mechanisch zu sein.“ Bedenkt man 
indessen, dass am Ende bei jedem Chemismus Molekularmechanik im 
Spiele ist, bedenkt man ferner, dass es ausser den Contagien sicher noch 
eine Menge von giftigen Stoffen gibt, welche weniger durch sogenannte 
Affinitäten, als durch Contact wirken, so wird man die erhobene Differenz 
zwischen Contagien und Giften gern fallen lassen. Dazu dürfen wir uns 
erinnern, dass in unserer Definition vom Gift diese spitzfindige Unterschei- 
dung, die am Ende nur eine rein dialcktische ist, schon dadurch aufge- 
hoben wurde, dass wir den Ausdruck chemische Wirkung gar nicht 
gebrauchten, sondern die Substanzen als Gifte bezeichneten, welche durch 
die Natur ihrer Moleku:e und durch die Molekularkräfte sich 
wirksam erweisen. Bleibt somit von allen den Merkmalen, welche angeb- 
lich die Contagien auszeichnen, nur das übrig, dass dieselben von Orga- 
nismus zu Organismus übertragen sich siets regeneriren und reproduciren, 
was am Ende auf Massenwachsthum und auf stete Unruhe ihrer Theilchen 
hinausläuft, so lässt sich allerdings nicht läugnen, dass sie dadurch von 
den übrigen Giften unterschieden sind, vorausgesetzt, dass man die weni- 
gen davon ausschliesst, bei welchen diese Eigenthümlichkeit zweifelhaft 
ist. Aber wie schon das Leichengift und das Wuthgift beweisen, die sich 
im menschlichen Organismus nicht, oder nicht immer reproduciren, finden 
unmerkliche Uebergänge von den Contagien zu den Giften statt. Somit 
ist denn wissenschaftlich gerechtfertigt, wenn man die Contagien mit ausser 
Achtlassung des differirenden Merkmals unter die Gifte und zwar unter 
die Thiergifte setz. Ganz anders indessen verhält es sich mit den Be- 
dürfnissen des Unterrichts und der Forschung, welche die Hinzuziehung 
  
*) Gerichtliche Chemie S. 56. 
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