3723 Virchow, Zoonosen.
fange vollständiger, und obwohl fast immer das vollständigste Bewusstsein,
auch über die im Wuthanfall begangenen Handlungen vorhanden ist, so
bedingt doch die zunehmende Angst eine immer grössere Steigerung der
Hyperästhesie und damit eine immer grössere Gefahr neuer Anfälle. Die
Dauer der freien Zeiträume oder der Nachlässe vermindert sich daher, je
länger die Krankheit anhält. Nach Sauter würde jeder Paroxysmus zu
einem Schweisse führen, der kritische Bedeutung haben sollte.
$. 32. Die hauptsächlichsten Symptome dieses Stadiums lassen sich
in folgende Gruppen ordnen, deren Grenzen sich jedoch noch mehr, als
diess schon beim Hunde der Fall war, verwischen:
1) Psychische und ästhetische Störungen. Wir haben die
schreckliche, bis zur äussersten Qual gesteigerte Angst, die Unruhe und
Reizbarkeit, die extreme Hyperästhesie dieser unglücklichenKranken schon
erwähnt. Unter den daraus hervorgehenden gemischten Symptomen nimmt
die Wasserscheu (Hydrophobie) den ersten Rang ein, obwohl es zwei-
felhaft ist, ob man sie als unfehlbares Zeichen betrachten darf*). Aure-
lianus erzählt uns schon, dass Andere dafür Hygrophobia gesagt hätten,
weil die Kranken alles Flüssige scheuen, Andere wieder Phobodipson,
weil sie mit Furcht trinken; Polybos habe die Krankheit Pheugydron
(aquifuga) genannt und wieder Andere hätten diese Kranken verglichen,
jedoch unterschieden von der Aerophobie und namentlich die Schüler des
Andreas von der Pantaphobie. Sicher ist es, dass die Wasserscheu
nicht primär existirt, sondern erst hervorgerufen wird durch die subjectlive
Erfahrung des Kranken von den Zufällen, welche der Versuch, Flüssiges
zu schlucken, bei ihm hervorbringt. Manchmal scheint es, dass die erste
Erfahrung dieser Art durch die Schwierigkeit, den eigenen Speichel zu
schlucken, gemacht wird. Läge an dem Ausdruck etwas, so könnte man
daher mit Mead lieber Dyscataposis sagen. Wichtig ist aber die Unter-
scheidung zwischen der durch die Erinnerung der erlittenen Beschwerde
bedingten Scheu vor demTrinken und der durch den Versuch zum Trinken
hervorgebrachten furchtbaren motorischenErschülterung. Letztere ist Theil-
glied der aus der Hyperästhesie folgenden Reflexkrämpfe, und steht in-
soferne auf gleicher Höhe mit den durch andere Einwirkungen erzeugten
Krampfanfällen, welche allerdings bei diesen Kranken auch Aerophobie
und Pantaphobie hervorbringen können. Im leizteren Falle ist eben der
höchste Grad der Hyperästhesie vorhanden.
Manche Kranken können noch trinken, jedoch mit grosser Anstren-
gung, oft nur mit dem grössten Aufwande von Willenskraft und auch
dann nur in ganz kleinen Mengen. Meist steigert sich die Erscheinung
von einer einfachen Dysphagie allmählich, und es zeigt sich eine grosse
Verschiedenheit je nach der Art der dargereichten Substanzen. Manche
haben hauptsächlich vor Wasser eine grosse Scheu, andere mehr vor kal-
ten Getränken. Besonders merkwürdig ist es aber, dass das Hinabschlucken
von festen Körpern in der Mehrzahl der Fälle nicht ähnlich wirkt; nur ei-
nigemale hat man beobachtet, dass auch sie nur mit grösster Beschwerde
genommen werden konnten oder dass sie sogar die gleichen Erscheinun-
*) Im Ganzen sind die Fälle, wo diese Erscheinung fehlte, freilich sehr selten. Man-
che Citate, die sich dafür finden, z. B. Morgagni Ep. VI. art. 27, sind falsch;
andere, z. B Mead T.Il. p. 111 berichten nur nach fremden Zeugnissen.
Richter zählte geradezu alle Fälle von fehlender Wasserscheu zu den proble-
malischen,