428 Simon, Syphilis.
Zwar deutet auch die heisere Stimme beim Aussatz auf bedeutende Af-
feetion des Schlundes und des Kehlkopfes und auch beim Aussatz fiel
die Nase nicht selten ein; aber das geschah nur in den schlimmsten Fäl-
len und nach jahrelanger Dauer der Krankheit, während beim neuen Mor-
bus gallicus diese Zufälle mit furchtbarer Rapidität aufeinander folgten. Die-
ser gewissermaassen acute Charakter der neuen Seuche, diese rasch zer-
störende Wuth der Symptome überdauerte kaum die ersten zehn Jahre;
schon bald nach Anfang des 16. Jahrhunderts verlor der Mork. gall. im
Allgemeinen an Intensität; die Hautausschläge wurden trockner und schmerz-
loser, die bösartigen Geschwüre seltner, aber die Knochenschmerzen und
Tophen vervielfältigten sich in dem Maasse, als die unzweckmässigen und
srösstentheils unzulänglichen Quecksilberkuren häufiger wurden*). Die
impetiginösen und herpetischen Ausschläge, die gewöhnlichen Symptome
des Aussatzes in seiner milderen Artung, kamen wieder häufiger zum Vor-
schein, und so kann man es sich erklären, warum bei mauchen Aerztien
schon im ersten Decennium des 16. Jahrhunderts vom Uebergange des
Morb. gall. in Lepra die Rede ist. Später kam auch noch die Alopecie,
das Ausfallen der Nägel und Zähne dazu, lauter Symptome des alten Aus-
satzes, die aber vermöge der ursprünglich leprösen Natur des Morb. gall.
sehr begreiflich werden. Cataneus spricht sogar schon (1504) vom
Uebergange des Morb. gall. in Elephantiasis, eine Ausartung, die auch
von vielen späteren Aerzten beobachtet worden ist, und wovon, Anderer
nicht zu gedenken, Hensler ein frappantes Beispiel anführt **).
$. 13. Ist aber die Abkunft der örtlichen Lustübel und der sog.
Lustseuche vom uralten Aussatz schwerlich in Zweifel zu ziehen, sind
beide vielmehr nichts Anderes, als eine besondere Modifikation des Aus-
*) Aus dem allmälig verminderten, langsameren und milderen Verlauf der Lustseuche,
der angeblichen Beobachtung neuer, früher entweder nicht beachleter oder nicht
für syphilitisch gehaltener Symptome, hat Astruc sechs Perioden der Lustseuche
gebildet. Diese Perioden beruhen aber grösstentheils auf sehr willkührlichen An-
nahmen. So z. B. die dritte Periode auf dem Zutritt der Inguinalbubonen und
der Alopecie; die vierte auf der Erscheinung des Trippers; die fünfte auf dem
Zutritt des Tinnitus aurium. Von diesen sechs Perioden hat sich hauptsächlich
nur die vierte, durch den vermeintlichen Zutritt des Trippers, Geltung verschafft.
Man nimmt nämlich allgemein an, dass mit Erscheinung des Trippers in den 30er
Jahren des 16. Jahrhunderts die Syphilis milder geworden sei. So unterscheidet
noch Schönlein zwei Hauptabschnitte im geschichtlichen Verlaufe der Syphilis.
Der erste soll sich von 1494-1530 erstrecken, wo die Krankheit acuter verlief
und sich mehr exanthemalisch gestaltete. Die zweite Periode soll sich von 1530
bis auf unsere Zeit erstrecken und sich durch das Auftreten des Trippers charak-
terisiren. Das Contagium wird fixer, die Krankheit chronisch und milder in ihrem
Verlauf. — Aber das Verhältniss des Trippers zur Lustseuche ist noch immer
zweifelhaft, ein conlagiöser Tripper uralt und mindestens im Mittelalter ein sehr
bekanntes und gewöhnliches Uebel. Uebrigens spricht Benedetti schon 1511
von einer förmlichen Tripperepidemie. Erst gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts
sliftete man eine Gonorrhoea galliea, obgleich man sie von der non gallica nicht zu
unterscheiden wusste. Man sah bisweilen auf den Tripper allgemeine Lustseuche
folgen nnd das gab wahrscheinlich zuerst Anlass zur Annahme einer Gon. gall.
Möglich ist es immerhin , dass der uralte Tıipper, ebenfalls wahrscheinlich ein
localer Reflex des Aussatzes, die gallische Tinetur, mit Paracelsus zu reden,
angenommen. Man sehe über diesen nicht uninteressanten Gegenstand den ersten
Theil meiner Geschichte der örtlichen Lustübel und meine Antwortschreiben auf
Ricord’s Briefe über Syphilis.
*) Vom abendländischen Aussatz u. s. w. pag. 23 u. fg.