Full text: Intoxicationen, Zoonosen und Syphilis (2. Band, 1. Abtheilung)

  
  
  
  
  
  
  
430 Simon, Syphilis. 
eigenthümliche Mischung oder Beschaffenheit des syphilitischen Virus. In 
einer besonderen Säure, wie man früher glaubte, liegt es nicht; denn 
auch der Eiter nicht venerischer Geschwüre färbt blaue Pflanzensäfte 
roth. Uebrigens wird die Syphilis auch ohne eiternde Geschwüre, durch 
das Blut, den Saamen, die Ammenmilch übertragen, und aus demselben 
Grunde können auch die im Schankereiter neuerdings von Donne& ent- 
deekten Infusorien, die schon früher von Boile, Desault, Weber, 
Deidier angenommen wurden, ebenso wenig als das Prineipium agens 
angesehen werden. Ebenso wenig wird damit gewonnen, wenn man das 
venerische Gift aus einer gewissen Verbindung des Kohlenstoffes mit dem 
Stickstoffe erklärt (Walch). Könnte man aus einer gewissen Verbindung 
dieser Stoffe venerisches Gift darstellen, wie Wasser aus Sauerstoff und Was- 
serstoff, dann hätte diese Hypothese Grund und Werth. Kurz, wir schlies- 
sen, wie gewöhnlich, aus unleugbaren specifischen Wirkungen auf eine 
specifische Ursache und nehmen deswegen ein syphilitisches Gift an, wie 
wir ein Pocken-, Pest-, Schlangen-, Wuth-, Rotzgift u. s. w. anzunehmen 
gezwungen sind. 
8. 17. Eben weil aber die materielle Ursache sich nicht sichtbar 
und handgreiflich darstellen lässt, haben manche Aerzte älterer und neue- 
rer Zeit die Existenz eines speeifischen venerischen Giftes in Abrede 
stellen zu können vermeint. Im 17. lahrh. leugneten schon de Blegny, 
Vercellonus, Gervaise Ucay, de St. Romain und ein gewisser 
Sinapius ein besonderes Gift, und suchten ihre Ansichten durch aller- 
hand Scheingründe geltend zu machen. Im ganzen 18. Jahrhundert 
wurde nichts wieder laut von dieser Paradoxie; erst 1811 erschien anonym 
eine „Nouvelle doctrine des maladies veneriennes,“ — ein gewisser Caron 
soll der Verf. gewesen sein — worin die Existenz des venerischen Giftes 
abermals in aller Form bestritten wurde. Diese Schrift würde verdienter- 
weise der Vergessenheit verfallen sein, wenn nicht später die Anhänger 
Broussais’s oder der sog. physiologischen Schule sich geräuschvoll dieser 
Idee, im Geiste ihres Systems, bemächtigt hätten. Jourdan war es, 
der schon 1815, im Journal des sciences medicales, die Existenz der 
Syphilis lächerlich machte, aber zur Zeit wenig Beifall und Anhänger 
fand. Später traten Richond de Brus, Desruelles, Lefebvrre, 
Devergi& und Andere in seine Fussstapfen. Nach ihrer Lehre sollten 
die syphilitischen Krankheiten nichts Anderes sein, als einfache Entzün- 
dungen und ihre Folgen; als solche seien sie antiphlogislisch zu behan- 
deln, und so wenig sie selbst specifischer Natur seien, ebenso wenig be- 
dürften sie einer specifischen Heilmethode. Schärfe der Secrele von ent- 
zündeten Schleimhäuten und Geschwüren erzeuge, sobald diese mit ge- 
sunder Schleimhaut oder wunder Epidermis in Berührung kommen, leicht 
eine ähnliche Entzündung. Dies sei aber kein Beweis für die Existenz ei- 
nes besonderen Virus, und die daraus entspringenden secundären oder 
consecutiven Symptome seien nicht Glieder eines zusammenhängenden 
Ganzen, nicht die Folge einer allgemeinen Blutvergiftung oder Dyskrasie, 
sondern einfache Reflexwirkungen der im vielfachsten Consensus mit an- 
deren Organen stehenden Geschlechistheile. 
. 18. Diese Doctrin wurde vorzugsweise geschaffen, um eine seit 
1817 von England ausgegangene Behandlungsweise der Syphilis, die sog. 
einfache ohne Quecksilber, gegen dieMercurialisten auch von Seiten der 
Theorie in Schutz zu nehmen. Die Herren bedachten dabei nicht, dass, 
das Quecksilber aus der Praxis zu verdrängen, es so grosser Anstren- 
gungen nicht bedurft hätte, wenn nur Erfahrung und Thatsachen auf ihrer 
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