438 Simon, Syphilis.
Schankergeschwüre nachweisen würde; aber Vigaroux und Hennen
führen Fälle an, wo auch die genaueste Untersuchung mit dem Mutterspie-
gel keine Schankergeschwüre in der Tiefe der Scheide oder am Mutter-
munde entdecken liess. Eine andere Thatsache ist wiederum die, dass
nicht selten Tripper und Schanker gleichzeitig bei demselben Individuum
vorkommen, dass manchmal zuerst ein Tripper erscheint und einige Tage,
ja selbst einige Wochen später, ein Schanker folgi. Solcher Fälle gedenkt
schon Hunter und uns selbst sind einige im Laufe unserer Praxis vor-
gekommen. Wenn nun auch das Nebeneinanderbestehen der beiden Af-
fectionen für die Identität des Virus geltend gemacht werden könnte, so
würde doch das späte Aufeinanderfolgen derselben — wo und wenn
keine frische Infeetion stattgefunden hat— eher so zu erklären sein, dass
eine doppelte Ansteckung stattgefunden und die Entwicklung des einen
Virus die des anderen gehemmt hat.
$. 23. Erwägen wir nun alle diese sich zum Theil widersprechen
den Thatsachen, so ist ein entscheidendes Urtheil über Identität oder Nicht-
identität des Tripper- und Schankervirus nicht so leicht zu fällen "%2,Der
Gedanke liegt nahe, dass beide Gifte in ihrem Ursprunge wesentlich iden-
tisch sind, dass, wie Hunter meinte, der Tripper eine der Schleimhaut
eigenthümliche Form der Syphilis oder, wie Baum&s glaubt, der Unter-
‚schied zwischen beiden Contagien nicht sowohl in ihrer Natur, als in dem
Grade ihrer Intensität beruhe, so dass nach dem Tripper weniger Gewebe
und Organe ergriffen werden. Könnte in der That nicht das eine Gift
concentrirter als das andere sein, so dass es leichter gelingt durch Ein-
bringung des Schankereiters in die Harnröhre einen Tripper, als durch
Einimpfung des schwächeren Trippereiters Schanker zu erzeugen? In der
Regel werden, wie auch die Inoculation zeigt, Tripper- und Schankersift
die ihnen eigenthümlichen Krankheitsformen erzeugen, ausnahmsweise aber
das eine Virus, unter Bedingungen, die wir weder genau kennen noch
willkürlich in Wirksamkeit zu setzen im Stande sind, die dem anderen,
ursprünglich verwandten, Virus entsprechenden Krankheitsformen hervor-
rufen können.
$. 24. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass, wenigstens nach
unserer Ansicht der Dinge, Tripper und Schanker aus dem Aussatze,
gleichsam als Örtliche Reflexe desselben entsprungen sind aus dem
Aussaize, der aus den evidentesten historisch-pathologischen Gründen als
die Mutler der Syphilis angesprochen werden kann. Und so liesse sich
der Tripper leicht als eine mildere Form der primären Syphilis deuten,
aus welcher ebenfalls, wenn auch nur selten eine allgemeine Infection ent-
springen kann. Es ist aber auch möglich, dass die an sich schon ur-
sprünglich verwandten Contagien, vermöge ihrer örtlichen Haftung an den-
selben Theilen, öfter in ein Connubium treten, woraus eine gemischte
Wirkung entsteht. Daraus würde erklärlich, warum der Schankereiter bis-
weilen Tripper erzeugt, was Ricord mittelbar selbst zugibt, und umge-
kehrt der Trippereiter bisweilen Schanker; warum ferner bisweilen auf
*) Auch Suchanek (s. Prag. Vierteljahrsschrift 1852. Pag. 1—57) hält das Ver-
hältniss des venerischen Catarrhs oder Trippers zu dem syphilitischen Processe
noch immer für dunkel. Auch ihm sind Fälle vorgekommen, wo 'secundäre sy-
philitische Formen mit grösster Wahrscheinlichkeit auf vorangegangene Gonorrhoen
zu beziehen waren, und durch die Inoculation zur Gewissheit zu gelangen, hält er
mit Recht für sehr schwierig.