440 Simon, Syphilis.
wiederholte Impfung mit Schankergift gegen die örtliche Wirkung des
Schankergiftes abzustumpfen; aber etwas Anderes ist es durch solche
wiederholte Inoculation der allgemeinen Infection vorbeugen oder die Symp-
tome derselben milder und gleichsam unschädlich machen zu wollen. An
und für sich erscheint der Gedanke, durch wiederholte Anschwängerung
des Körpers mit Schankergift ihn vor constitulioneller Syphilis zu schützen
oder in Zukunft dafür unempfänglich zu machen, etwas abentheuerlich,
und die in diesem Sinne angestellten Experimente können um so weni-
ger concludent sein, als für gewöhnlich auf eine geringe Anzahl von pri-
mären Genitalgeschwüren constitutionelle Syphilis folgt. Was kann also
die successive Impfung in den meisten Fällen beweisen? Und dann wur-
den die meisten dieser vermeinten Schutzimpfungen an öffentlichen Mäd-
chen vorgenommen, die vermöge ihres Gewerbes für die allgemeine Infec-
tion wahrscheinlich am wenigsten empfänglich sind. Was die Heilung ver-
schleppter und rebellischer Fälle von Syphilis durch die Syphilisation be-
trifft, von welcher Sigmund (Wien. Wochenschr. Nov. 1852) aus eigner
Anschauung berichtet, so erscheint deren specifische Wirksamkeit etwas
problematisch, wenn es heisst, dass die Dauer der gesammten Behandlung
durchschnittlich 4—6 Monate betrug. Denn, abgesehen von der Langsam-
keit solcher Heilung, ist es noch die Frage, ob die Syphilisation als solche
oder nicht vielmehr durch den ableitenden Reiz immer frischer Wundstel-
len an anderen gesunden Körpertheilen, auf die alten, lange bestandenen
syphiliischen Geschwüre heilsam gewirkt hat. Es ist noch die Frage, ob
man nicht durch ofi erneuerte Ulceration an anderen Körperstellen mittels
Aetzmittel oder Cauterien dasselbe Resultat in 4—6 Monaten erreichen
würde. Man fälle wenigstens über die specifische Wirksamkeit der Sy-
philisation als Heilmittel nicht eher ein entischeidendes Urtheil, als bis man
so viel und so oft künstliche Geschwüre unschuldiger Natur auf dem Ab-
domen bewirkt, und deren Einfluss aufrebellische, primäre und secundäre
syphilitische Geschwüre geprüft hat. Uebrigens hat die Syphilisation, als
Heilmittel, nach Puche, Gosselin, Thiry nur zu ungünstigen Resulta-
ten geführt.
Die ganze Syphilisationstheorie wurde denn auch durch ein entschei-
dendes Experiment, was ein deutscher Arzt, Dr.L. an sich selbst anstellte,
um ihren Werth zu prüfen, zu Schanden gemacht. Dieser impfte sich im
Dee. 1850 und im Jan. 1851 nach und nach zehn Schanker ein, die in
kurzer Zeit und ohne weitere Folgen, bei einer einfachen Behandlung,
heillen. Am 2. Juli 1851 impfte er sich aufs Neue am linken Arme mit
Schankergift, worauf sich ein indurirter Schanker bildete, der drei Monate
später einen papulösen Ausschlag und Anschwellung der Cervicaldrüsen
zur Folge halle. Nunmehr begannen die Syphilisationsversuche mit von
anderen Individuen entlehntem Schankereiter, auch von angeblich Syphili-
sirien. Aber die behufs der Syphilisation vorgenommenen Experimente
hatten nicht allein keinen günstigen Einfluss auf die constitutionelle Sy-
philis, sondern die Intensität derselben schien sogar zuzunehmen, je nach-
dem die Ino£ulationsschanker phagedänisch wurden. Als dieser Martyrer
der sog. Syphilisationstheorie sich am 18. Nov. 1851 in der Sitzung der
Acad&mie de Medecine vorstellte, waren dessen Gliedmassen von phagedä-
nischen Schankern zerrissen und der ganze Körper bot die Erscheinungen
der constitulionellen Syphilis in ihren schwersten Formen dar *).
Obgleich nun die Acad&mie de Medecine in ihren Septembersitzun-
*) 8, Ricord’s Briefe über Syphilis, deutsch von Liman P. 327 u, folg.