Entzündung der Parotis. 89
Ein ziemlich häufiges und eben vorzugsweise der idiopathischen Form
der Parotitis zukommendes Symptom ist eine plötzlich eintreiende schmerz-
hafte entzündliche Anschwellung der Hoden, deren schon Hippocrates
Erwähnung macht, bei weiblichen Individuen der grossen Schamlippen,
manchmal auch der Brustdrüsen. Ob auch die Ovarien der Sitz einer
solchen Anschwellung werden können, ist durch die Beobachtung noch nicht
sicher gestellt. Nur zeugungskräftiige Individuen sind derselben unterwor-
fen; wo die Genitalorgane noch unentwickelt oder in der Involulion be-
griffen sind, wie bei Kindern und Greisen wird sie nie beobachtet. Diese
Erscheinung kömmt sowohl bei der sporadischen Form, als ganz beson-
ders in manchen Epidemieen dieser Krankheit vor. Ziemlich allgemein
wird diess als Metastase auf die Sexualorgane bezeichnet, doch dürfte es
auch hier für die Natur des Vorgangs weit entsprechender sein, den zu viel
bezeichnenden Namen Metastase fallen zu lassen, und bloss von einer Se-
cundären Anschwellung dieser Organe zu sprechen, die in den zwischen
drüsigen Gebilden bestehenden, consensuellen Beziehungen eine hinläng-
liche, durch Analogieen gestützte Begründung findet. Das Wesen dieser
secundären Processe beruht auf einer unter’ den Symptomen der Hyperä-
mie gesetzien Exsudation in dieHöhle der Tunica vaginalis propria, in das
Gewebe des Nebenhodens (vielleicht auch des Hodens) oder der Scham-
lippen und der Brustdrüse. Niemals ist die Entzündung eine zur Eite-
rung oder Verjauchung neigende, wie bei jenen Processen, die im Sinne
der neuern pathologischen Anatomie als Metastasen bezeichnet werden. —
Das Eintreten dieser seeundären Entzündungen der Hoden oder Schamlip-
pen ist von lebhaftem Schmerz in der Sacral- und Leistengegend, nach
dem Verlaufe des Samenstrangs und am Scrotum, manchmal von Harn-
beschwerden und Exacerbalion des Fiebers begleitet, der Hodensack ist
angeschwollen, gespannt, die Serotalhaut geröthet oder normal gefärbt, der
Druck in hohem Grade schmerzhaft. Gewöhnlich schwillt nur die eine
Hälfte des Hodensacks oder die eine Schamlippe, häufig die der entspre-
chenden Seite, manchmal beide an. Mit dem Auftreten dieser secundä-
ren Entzündung beobachtet man manchmal eine Abnahme der Geschwulst
der Parotis, was eben hauptsächlich zur Annahme einer Metastase Veran-
lassung gegeben hat. Doch bedarf es einer solchen nicht, um das so
häufig zu beobachtende Factum zu erklären, dass mit dem Auftreten einer
neuen Entzündung eine andere bereits vorhandene abnimmt. Manchmal
verschwindet die Hodenentzündug rasch nach kurzer Dauer, es tritt neuer-
dings stärkere Anschwellung der Parotis ein. In der Regel gehen diese
serös-entzündlichen secundären Exsudationen nach wenigen Tagen in Zer-
iheilung und Resorption über, ohne nachtheilige Folgen zu hinterlassen.
doch will man in einigen Fällen Verhärtung und Atrophie des Hodens als
Nachkrankheit beobachtet haben.
Was von Metastasen auf das Gehirn und die Hirnhäute, die Lungen,
den Darmkanal und andere innere Organe angegeben wird, scheint fast
durchaus auf ungenauen Beobachtungen, auf zufälligen Complicationen oder
Verwechslungen der selbstständigen Parotitis mit den melaslatischen Formen,
bei welchen allerdings solche secundäre Processe durch die ursprüng-
liche Krankheit bedingt, nicht selten vorkommen, zu beruhen. Wahre Me-
taslasen, d. i. eiterige, oder zu eitrigem Zerfallen neigende Entzündungen
innerer oder äusserer Organe, durch eine eigenthümliche Erkrankung der
Blutmasse (Erkrankung des Faserstoffs nach Rokitansky) bedingt, kön-
nen bei der idiopathischen Parotitis, nur bei eitrigem Zerfliessen des Ex-
sudates aber auch dann gewiss äusserst selten vorkommen.