158 Bamberger, Krankheiten des Digestionstractus.
$. 41. I) Verminderung des Appetits. (Anorexia.) Die Grade
derselben sind verschieden, von geringer Abnahme bis zu vollständiger
Abstinenz, Widerwillen und Eckel gegen Speisen.
Die Ursachen liegen: a) in Allgemeinzuständen des Körpers, die
nicht nothwendig pathologisch sein müssen, da der Körper, ohne krank zu
sein, durch eine gewisse Zeit ein vermindertes Bedürfniss der Stoffauf-
nahme zeigen kann, wenn eben der Stoffverbrauch innerhalb gewisser
Grenzen ein geringerer geworden ist, so bei mangelnder körperlicher Be-
wegung, anhaltender Beschäftigung des Geistes mit irgend einem Gegen-
stande, bei länger forigeseizier Gewohnheit der Abstinenz, im höheren
Alter, in heissen Climaten, u. s. w. Die Grenze zwischen physiologischen
und pathologischen Zuständen ist hier eine sehr unbestimmte und leicht
überschreitbare. Allekrankhaften Zustände, sowohl locale als allgemeine,
können, indem sie den Stoffumsatz verändern und die Bedürfnisse des
Organismus modifieiren, Verminderung des Appetits bedingen, was insbe-
sondere von den fieberhaften Affeetionen gilt. Individuellen Zuständen und
den verschiedenen Irradiationen der Krankheit ist hier übrigens jedenfalls
ein so grosser Spielraum überlassen, dass eine nähere Bestimmung des Ein-
flusses der Krankheit an und für sich nicht möglich ist. Nicht selten be-
stehen die wichtigsten Allgemeinleiden ohne irgend eine Abnahme des
Appelits, während unbedeutende Localleiden denselben gänzlich zerstören
können, ja eine und dieselbe Krankheilsform kann bei verschiedenen In-
dividuen hierin ein ganz enigegengeseiztes Verhalten zeigen.
b) In verändertem Nerveneinflusse. _Die Einwirkung desselben auf
den Appelit zeigt sich schon durch den Effekt des Eckels, der Gemüths-
bewegungen, des körperlichen Schmerzes, den Einfluss narcotischer Mittel
u. Ss. w. Wegnahme der Hemisphären des grossen Gehirns und Durch-
schneidung der Vagi bei Thieren heben meistens die Esslust auf (Budge).
So können die verschiedensten krankhaften Veränderungen der Cen-
tralorgane (und vielleicht auch des Vagus) und zwar sowohl solche, deren
materielle Grundlage wir kennen (Entzündungen, Desorganisalionen, After-
produkte etc.) als solche, wo die letzteren uns unbekannt sind, (Geistes-
krankheiten, Hypochondrie, Hysterie, Neuralgieen u. s.w.) Ursache des Appetit-
mangels sein. Allein auch hier besteht kein direkt nachweisbarer con-
stanter Bezug zwischen Krankheit und Symptom. So wechselt bei Hy-
pochondern, Hysterischen Appetitlosigkeit und Heisshunger in der kürzesten
Zeit, bei denselben Formen der Geisteskrankheit zeigt sich einmal Anorexie,
das andere Mal Gefrässigkeit.
c) In Krankheitszuständen der Verdauungsorgane, insbesondere des
Magens. Es kömmt hier beinahe alles in Betracht, was in Bezug auf
Structurveränderungen und Secretionsanomalien bei der Dyspepsie gesagt
wurde. Die meisten Krankheiten des Magens haben wenigstens vorüber-
gehend Störungen des Appetits zur Folge, doch gibt es auf der andern
Seite auch nur wenige, bei welchen diess noihwendigerweise der Fall sein
müsste, und die Erfahrung zeigt auch hier in jeder Beziehung zahlreiche
Ausnahmen. Aehnliches gilt von den verschiedenen krankhaften Zuständen
des Darmkanals. Eine sehr häufige Ursache der Appetitlosigkeit, die ihrer
praktischen Wichtigkeit wegen besondere Erwähnung verdient, ist die an-
haltende Stuhlverstopfung.
$. 42. Die Appetitlosigkeit in ihren verschiedenen Graden kann je
nach der zu Grunde liegenden Ursache ein vorübergehendes Symptom
sein, oder verschieden lange Zeit anhalten; sie kann in ihrem Verlaufe
Remissionen oder Intermissionen zeigen, sie kann selbst mit dem entgegen-
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