Full text: Krankheiten des chylopoetischen Systems (6. Band, 1. Abtheilung)

  
  
  
  
  
  
  
  
  
Allgemeine Symptomatologie. 161 
$. 48. Die Behandlung ist meist äusserst schwierig und führt nur 
sellen zum Ziele. — In jenen Fällen die Gewohnheitsfresser betreffen, muss 
man trachten durch Vorstellen der üblen Folgen, durch angemessene Be- 
schäftigung des Geistes und Körpers den Hang zu besiegen, indem man 
einen allmähligen, aber steiigen Abbruch des Gewohnten empfiehlt. Crans 
und Wastell heilten Fälle, die mit Erbrechen verbunden waren, indem 
sie die Kranken durch mehrere Wochen auf strenge Diät setzten. Ist der 
Heisshunger Symptom anderer Krankheilszustände, so müssen vor Allem 
diese behandelt werden. So vermindert die Behandlung des Diabetes mit 
Opium nebst den übrigen Symptomen meist auch rasch den übermässigen 
Hunger, die operative Behandlung von Magen- und Darmfisteln kann das 
Symptom vollständig beseitigen, zweckmässige Therapie bei Hysterie und 
Hypochondrie es heben oder mindestens bessern u. s. w. Allein auch 
hier muss eine zweckmässige Auswahl der zu erlaubenden Speisen, wo- 
bei insbesondere auf ihre leichte Verdaulichkeit zu sehen, damit der Ma- 
gen nicht durch übrigbleibende unverdauliche Stoffe oder blähende Sub- 
stanzen übermässig ausgedehnt werde, und eine allmählige Beschränkung 
in der Menge, die Kur vollenden helfen. Fälle, in denen der Heisshunger 
bloss ein vorübergehendes Symptom ist, bedürfen keiner weitern directen 
Therapie. In den chronischen Formen der Bulimie hingegen muss man 
versuchen, den übermässigen Reiz abzustumpfen insoweit dies ohne dem 
Körper grössere Nachtheile zu bereiten, möglich ist. Am meisten dürfte 
wohl hier der länger fortgesetzie Gebrauch des Opiums leisten. Copland 
heilte mehrere Fälle durch die Anwendung eckelerregender Purgirmitiel aus 
Terpenthinöl und Rieinusöl und machte gleichzeitig von Blutegeln und Pu- 
stelsalben im Epigastrium Gebrauch. Strenge Regelung der Diät bleibt 
übrigens auch in solchen Fällen die Hauptsache. 
$. 49. 3. Qualitative Veränderung des Appetits (Pica, Ma- 
lacia, Citta, Pseudorexia). Diese besteht in dem Verlangen nach Gegen- 
ständen, die nicht zu den eigentlichen Nahrungsmitteln gehören, wobei aber 
natürlich Gegenstände, denen ein gewisser Nahrungswerth nicht abzuspre- 
chen ist, die aber nur von gewissen Völkern benützt werden (verschiedene 
Holz- und Blälterarten, gewisse Früchte, Eidechsen, Ratten, gewisse See- 
thiere, Unschlitt u. dgl.), jedenfalls noch als innerhalb der physiologischen 
Grenzen gelegen angesehen werden müssen. 
Dieses eigenthümliche Verlangen nach demGenusse ungewöhnlicher 
Gegenstände kommt insbesondere beim weiblichen Geschlechle und zwar 
beiSchwangern, bei Hysterischen, Chlorotischen, beiKrankheiten der Sexual- 
organe, Unregelmässigkeiten der Menstruation und zur Zeit der Pubertät 
vor und scheint auf einer nicht weiter erklärlichen nervösen Alienalion zu 
beruhen, von der es überdiess zweifelhaft ist, ob ihr Sitz in den sensib- 
len Magennerven oder in den Centralorganen zu suchen sei. In manchen 
Fällen liegt diesem Zustande allerdings eine Art wohlbegründeter Instinet 
zu Grunde wie z.B. dem Verlangen nach Thon, Kalk, Erde, Kreide u. dgl. 
bei übermässiger Magensäure (auch das Erdeessen mancher afrikanischer 
Volksstämme (J. Hunter) scheint hieher zu gehören), dem Verlangen nach 
Essig und andern Säuren bei dem entgegengesetzten Zustande — und es 
steht nichts im Wege, den Trieb nach derart natürlichen Heilmitteln einer 
besonderen, durch die Vagusfasern vermittelten Erregung zuzuschreiben. 
Häufig ist aber das Verlangen nach Gegenständen gerichtet, die nicht nur 
unzweckmässig, sondern selbst geradezu schädlich sind. Ein solches Ver- 
langen nach aussergewöhnlichen Gegenständen ist auch oft durch Gewohn- 
heit erworben; Blödsinnige endlich geniessen, in Folge des Unvermögens, 
Spec. Path. u. Therap. Bd. VI. Abthlg. I. 11 
 
	        
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