Mercurielle Entzündung. 99
mässig so häufig ist und man noch immer an den hippokratischen Aus-
spruch erinnern muss: das Erste sei, nicht zu schaden.
$. 41. Die Art und Weise, auf welche durch die Mercurialien die
Stomatitis hervorgerufen wird, scheint eine doppelte zu sein: In einer
nicht unbedeutenden Zahl von Fällen entsteht dieselbe gewiss durch die
mechanische Reizung des mit der Mundhöhlenschleimhaut in directe Be-
rührung gebrachten Metalls, auf dieselbe Weise wie auch durch andere
scharfe, reizende und metallische Stoffe eine ähnliche Entzündung hervor-
gebracht werden kann; bei der gegenwärtig fast ausser Gebrauch gekom-
menen Methode, Mercurialpräparate auf die Mundschleimhaut einzureiben,
wird die Affeetion in kürzester Zeit hervorgerufen. Auf diese Weise scheint
die Krankheit nicht nur beim innern Gebrauche, wo sie oft schon auf
äusserst geringe Dosen eintritt, zu entsiehen, sondern auch bei der äus-
sern Anwendung mag diess oft genug durch Unachtsamkeit der Fall sein.
— Allein in einer andern Reihe von Fällen ist die Affection der Mund-
höhle eine durchaus secundäre und wird durch die spontane Ausschei-
dung des in die Blutmasse übergegangenen Quecksilbers bedingt. Denn
die Schleimhaut der Mundhöhle und die Speicheldrüsen scheinen vorzugs-
weise zu den Organen zu gehören, durch welche die Elimination des in
den Körper aufgenommenen Quecksilbers bewerkstelligt wird, und ich habe
mich mehrmals überzeugt, dass beim Mereurialismus nachdem Wochen- ja
Monatelang bereits die Einwirkung aufgehört hatte, das Quecksilber in den,
durch Salivation entleerten Massen, in beträchtlicher Menge nachweisbar
war *). Auf diese Weise entstehen ohne Zweifel jene heftigen und hart-
näckigen Fälle der Stomatitis und \Salivation, die erst nach langem innern
oder äussern Gebrauche des Quecksilbers, nachdem der Organismus mil
dem Mittel gleichsam gesättigt ist, oft nachdem das Mittel bereits längere
Zeit ausgesetzt wurde, auftreten.
8. 42. Alle Quecksilberpräparate ohne Ausnahme können die Krank-
heit hervorrufen, doch ist diess bei keinem derselben so häufig als beim
Calomel der Fall. Zunächst entsteht die Krankheit am häufigsten bei der
äussern Anwendung der grauen Quecksilbersalbe, besonders wenn die
Einreibungen in der Nähe des Mundes geschehen. Auffallend ist es, dass
die Einathmung der Quecksilberdämpfe bei jenen Gewerben und Hand-
werken die mit diesem Präparat zu thun haben, wie bei Chemikern, Vergol-
dern, Spiegelarbeitern, Hutmachern, Bergleuten u. s. w. nur sehr selten die
Stomatitis mereurialis, dagegen weit häufiger das Mereurialzittern und end-
lich die übrigen Erscheinungen der Mereurialcachexie hervorruft.
Die individuelle Receptivität gegen Quecksilbermittel ist eine äusserst
verschiedene und man sieht bei manchen schon nach den kleinsten Ga-
ben oder nach I—2maliger Einreibung eine heftige Mundaffection erfol-
gen, während Andere grossen Gaben und dem lange fortgesetzten Gebrauch
widerstehen, ja nicht selten selbst die Absicht, die Salivation hervorzuru-
fen, erfolglos bleibt. Auch vorhandene Krankheiten gegen welche das Mit-
tel gegeben wurde, haben hiebei einen verschiedenen Einfluss, bei man-
chen derselben entsteht die Stomatitis leicht, bei anderen schwer. Im
Allgemeinen lässt sich nur sagen, dass je schwerer die Krankheit, desto
weniger leicht der Mund ergriffen zu werden scheint, so z.B. bei schwe-
*) Nähere Untersuchungen der Mundflüssigkeit beim Gebrauche des Quecksilbers auch
wo es nicht zur Salivation kömmt, wären wünschenswerth.