Full text: A bis Arad (Band 1)

       
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
   
    
   
   
   
  
    
   
    
  
   
    
   
  
    
   
  
  
    
   
  
  
190 Additionalacte Adel 
Additionalacte (Acte additionnel, d. i. Zufatsacte) hieß das ephemere Berfaffungsgefet 
vom 22. April 1815, welches Napoleon nach feiner Nidfehr von Elba, während der fogenannten 
Hundert Tage, in der Form eines Zuſatzes zu den Conſtitutionen des Kaiſerreichs gab. Die 
liberalen Parteien hatten eine auf die Grundſätze der Vollsfreiheit gegründete neue Verfaſſung 
verlangt und zum Theil erwartet, und fanden fich durch jene Acte verlegt und enttäuſcht, welche 
die Verfaſſung des geſtürzten Kaiſerreichs nur um Sinne der Charte Ludwig’s XVII, modi- 
ficirte. Die A. bewilligte eine erbliche Pairsfammer und eine Deputirtenfammer mit fünf- 
jähriger Wahlperiode. Der Kaiſer und die beiden Kammern zuſammen ſollten die gefetsgebende 
Gewalt ausüben, Die octroyirte Acte ward nachträglich einer Volksabſtimmung unterworfen, 
welche 1,304206 Votanten ergab, von denen 1,300000 mit Ja, die übrigen mit Nein geſtimmt 
hatten. Die feierlihe Proclamation des Reſultats erfolgte 1. Juni 1816 in einem Maifelde 
im Beiſein des Kaiſers, der großen Staatskörper, der Deputationen der Wahlcollegien und der 
Armee. Niemand wagte fic gegen das leere Gepränge zu äußern. Doch brachten die Wahlen 
die liberalſten und tüchtigſten Männer in die Kammer. Die Armee zog vom Maifelde in den 
Krieg, Napoleon folgte ihr ſieben Tage ſpäter. (S. Frankreich.) 
Adel, Es liegt im Menſchen der natürliche Trieb, fh, auszuzeichnen, andere zu über- 
trefſen, andererſeits aber wieder eine gewiſſe natürliche Billigkeit des Anerkennens und Gelten- 
laſſens ſolcher, die fich auf irgendeine Weife auszeichnen. Aus dieſen beiden Richtungen der 
menſchlichen Natur, welche geſchichtlich faſt bei allen Völkern, und zwar ebenſowol im noh 
rohen als im civiliſirten Zuſtande auftreten, wird es erklärbar, daß beinahe überall und zu 
allen Zeiten aus der Allgemeinheit oder Maſſe des Volks eine beſondere Geſellſchaftsflaſſe ſich 
ausgeſchieden hat. Ja dieſem Sinne ſpricht man wohl von einem A. der Geſinnung, einer 
adelihen Denk- oder Handlungsweiſe. Dieſem natürlichen Zuge des Menſchen glaubte man 
nachzukommen, wenn man in manchen Ländern einen ſogenannten Verdienſtadel ſchuf: per- 
ſönliche Auszeichnungen, die mit gewiſſen höhetn Beamtungen oder mit der Zuertheilung be- 
ſtimmter Ehrenzeichen, Orden, verbunden wurden, nur daß hierbei niht immer die von oben 
getroffene Wahl mit der Schätzung durch die öffentlihe Meinung zuſammentraf, und daher ein 
ſolcher, angeblich nur dem wirklichen perſönlichen Verdienſte zu verdankender A. dennoch öfters 
in ſeiner tiefern Berechtigung angezweifelt ward. Auf der andern Seite ſpricht man auch wol 
von einem focialen oder Meinungsadel, worunter man die auszeihnende Geltung verſteht, 
welche die öffentliche Meinung einzelnen Perſonen oder ganzen Klaſſen wegen gewiſſer Vorzüge, 
die ſie haben, zugeſteht. Hierher gehört einestheils die fogenannte Geldariftofratie oder der 
Geldadel, anderntheils die Ariſtokratie des Geiſtes oder der Geiſtesadel, wobei man ſtill- 
Ihmweigend freilich, aber nicht immer zutreffend, vorauszufeten pflegt, daß das eine oder das 
andere dur perſönliche Thätigkeit und Anſtrengung erworben, alſo verdient fer. 
Alle folche und ähnliche Fälle treffen jedoh dasjenige noh nicht, was man heutzutage all- 
gemein unter dem Begriff A. verſteht. Denn bei dieſem Worte denkt man in der Regel an 
derartige gefellfchaftliche Auszeihnungèn, privatrechtliche oder polit. Bevorzugungen, welche 
von ihren Trägern nicht ſelbſt erworben, vielmehr ohne deren Zuthun durch Geburt und Ab- 
ſtammung ihnen zugefallen ſind. Unter A. verſtehen wir demnach einen Erb- oder Geburts- 
adel, denn auch der neuverliehene oder Briefadel hat den Zwe>, einen Geburtsadel zu be- 
gründen, in einen ſolchen überzugehen und erhält erſt dadurch ſeine rechte Bedeutung, da ex fonft 
von dem rein perſönlichen Verdienſtadel ſih nicht unterſcheiden würde. Es war daher nur con- 
ſequent, wenn man früher bei Verleihung des Briefadels zuweilen dem Neugeadelten ſogleich 
eine beſtimmte Reihe von Ahnen beilegte, gewiſſermaßen ſeine Vorfahren noch im Grabe adelte. 
Um die Entftehung einer folhen erblichen Auszeichnung begreiflich zu finden, muß man 
ſich eine andere pſychol. und geſellſchaftlihe Thatſache vergegenwärtigen, nämlich die ſehr 
allgemein verbreitete Anſicht von einer gewiſſen Stetigkeit und ſozuſagen Weſensgemeinſchaft 
zwiſchen Aeltern und Kindern, Vorfahren und Nachkommen. Geſchichtlich können wir die Ent- 
ſtehungsart eines ſolchen A. yielleicht bei keinem Volke deutlicher wahrnehmen als bei den alten 
Germanen. Tacitus in ſeinem berühmten Buche von den Sitten der Deutſchen erzählt, wie 
ſelbſt Jünglingen die Verdienſte ihrer Vorfahren einen höhern Nang unter ihren Altersgenoſſen 
verſchafft hätten, und die ganze Art, wie er den Begriff des A. gebraucht, nicht als einer beſon- 
dern Geſellſchaftsklaſſe, ſondern nur als einer Bevorzugung gewiſſer Familien in der allgemeinen 
Meinung, läßt uns glauben, daß bei den alten Germanen (wie wahrſcheinlich bei ſchr vielen 
Völkerſchaften in dem erſten Stadium der Cultur) hervorragende Tüchtigkeit des einzelnen 
und eine deshalb ihm zu Theil gewordene höhere Schäßung unwillkürlich im Volke die Erwar- 
   
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