12 Aargau
Auf Grund ſeiner Bevölkerungszahl ernennt der Canton A. 10 Abgeordnete zum ſ{weiz.
Nationalrath und 2 in den Ständerath. Nach der gegenwärtigen, 11. März 1852 promul=
girten und 1862 vevidirten Berfaffung übt das aargauiſche Volk in der Geſammtheit feiner
fimmfähigen: Bitrger die Souveränetät aus: 1) durch die Annahme oder Verwerfung der
Verſaſſung und der Abänderungsvorſchläge jeder Art; 2) durch das Verlangen von Reviſion
der Verfaſſung und Abänderung erlaſſener Geſetze; 3) durch die Wahl und Abberufung ſeiner
Stellvertreter inder geſeßgebenden Behörde. In die geſetzgebende Behörde, den Großen Rath,
wählt jeder der 50 Wahlkreiſe, in welche der Canton zerfällt, in geheimer Abſtimmung auf je
260 ſeiner ſtimmberechtigten Bürger, ſowie auf eine Bruchzahl von mehr als 130 derſelben,
1 Mitglied, Wer eine aus dem Staatsgute beſoldete Beamtung oder ein öffentliches Lehramt
bekleidet, kann nicht Mitglied des Großen Raths ſein, Die Hauptbefugniſſe des letztern ſind: die
Oberaufſicht über die Erhaltung und Vollziehung der Verfaſſung, das ausſchließlihe Necht der
Geſebßgebung und das Recht der Begnadigung. Auch ſteht ihm die Genehmigung von Staats-
verträgen und die Gewalt über die Finanzen zu, Die Vollſtre>ung der Geſetze iſt einem vom
Großen Rath aus ſeiner Mitte gewählten Negierungsrath von 7 Mitgliedern, von denen we-
nigſtens 3 dem kath. und 3 dem evang. Glaubensbekenntniß angehören müſſen, übertragen.
Die höchſte Gerichtsbehörde iſt ein 9 Mitglieder umfaſſendes Obergericht, unter welchem
11 Bezirksgerichte ftehen. Außerdem hat ein jeder der 50 Kreiſe des Cantons einen Friedens-
richter nebſt Statthalter. Sit der höchſten Cantonalbehörden iſt Aarau. Das reine National-
vermögen beträgt etwa 17 Mill. und das jährlihe Einkommen 1/, Mill. Frs.
Die Cultur des Landes an der untern Aax reicht bis ins höchſte Alterthum hinauf. Beim
heutigen Dorf Windiſch unweit der Reußmündung lag die große und berühmte Feſte Vindo-
niſſa, einer der Hauptwaſfenpläße der Römer in Germanien. Unweit davon liegt die Habs-
burg, das Stammhaus’ der öſterr. Dynaſtie, Der heutige Canton entſtand erſt in neuerer Zeit
aus drei verſchiedenen Gebieten: dem eigentlichen A., der früher unter der Botmäßigkeit der
berner Ariſtokratie ſtand; der Grafſchaft Baden, den untern und obern Freiämtern, die ge-
meinſchaftliche Unterthanengebiete mehrerer Cantone waren; dem vorher öſterr. Fricthale.
Infolge der Veränderungen, welche ſeit 1798 der Einbruch der Franzoſen mit ſih führte,
wurden zuerſt zwei Verwaltungsbezirke unter dem Namen der Cantone A. und Baden ge-
bildet. Erſt 1803 entſtand durch die Vermittelungsurkunde Napoleon's mit Einverleibung
des im Frieden von Luneville von Oeſterreich abgetretenen Friethals der heutige Canton A.
Derſelbe erhielt eine demokratiſche Repräſentativverfaſſung, unter welcher der neue Staat
ſichtlih aufblühte. Nach Napoleon's Sturz begann die Reaction auh im A., der unter
einem Kleinen Nath von 13 Mitgliedern allen Sünden und Fehlern der Oligarchie anheim-
fiel, “Die wachſende Unzufriedenheit trieb nah der franz. Julirevolution 6. Dec. 1830 das
Volk zum bewaffneten Aufſtande, infolge deſſen 15, April 1831 durch einen bon ſämmt=
lichen Staatsbürgern unmittelbar gewählten Verfaſſungsrath eine neue Conſtitution entwor-
fen wurde, die bald darauf bei der großen Mehrheit der Urverſammlungen Annahme fand.
In die Verfaſſung hatte man, obgleich die Katholiken nur die kleine Hälfte der Staatsangehö-
rigen bilden, doh den Grundſatz der Parität zwiſchen beiden Confeſſionen aufgenommen;
aber ungeachtet dieſer Begünſtigung zeigte ſich ein Theil der Katholiken doh nicht zufrieden.
Als die neue Regierung an den vom Papſte verdammten Beſchlüſſen der Badener Conferenz
theilnahm, und dieſe gegen einige widerſpenſtige Geiſtliche durchzuſetzen ſuchte, kam es im Nov.
1835 in den kath. Bezirken von Muri und Bremgarten zu Unruhen, die Ichnell unterdrücdt
wurden. Fortan wollten auh die Neformirten von der Parität nichts mehr wiffen, und als
1840 der geſezmäßige Zeitpunkt für die Verfaffungsrevifion herannahte, forderten auch dieſe
eine Vertretung nah Verhältniß der ſtimnſähigen Bürger. Am 5. Jan. 1841 wurde dev
Conſtitutionsentwurf, der dieſen Grundſay feſtſtellte, von der Majorität des Volks angenom-
men. Die klerikale Partei fand ſich jedoh durch die Veränderung im Geiſte der Demokratie
ebenſo wenig befriedigt. Die von Jeſuiten und Ultramontanen unterhaltene Gärung führte
alsbald zum völligen Aufftand in den Fath. Bezirken, namentlich in den Bezirken der Klöſter
Muri und Bremgarten, der jedoch nac einem kurzen Gefecht bei Bilmergen 11. Ian, 1841
niedergeſchlagen wurde. Unter dem Eimdrude dieſer Ereigniſſe und zur Sicherſtellung gegen
künftige Unordnungen beſchloß der Große Rath 13. Febr. die Aufhebung ſämmtlicher aar-
gauiſcher Klöſter und die Einziehung ihrer Güter im Werthe von 5 Mill. Frs. Ein Theil
der kath. Stände glaubte darin, unter Einmiſchung des päpſtl. Stuhls und Oeſterreichs, eine
Verletzung der ſchweiz. Bundesacte zu finden, ſodaß der Aargauiſche Kloſterſtreit zur