Advocat
Advocat. Mit der Zahl der bürgerlichen Verhältniſſe, welche das Geſet trifſt oder be-
fchiitst, und ihrer fortſchreitenden Verfeinerung und Verſchränkung wächſt die Schwierigkeit
des Rechtsverſtändniſſes. Je weniger daun die Geſammtheit der Bürger alle Geſetze zu be-
halten und den Nechtslauf zu beſtimmen vermag, um ſo mehr drängt auch ‘hier das Princip
der Arbeitstheilung zur Bildung eines eigenen Juriftenftandes. "Aus ihm geht fowol die Ma-
giftratur ala die Klaſſe derjenigen Kenner des Geſetzes hervor, die als A. (Anwälte, Rechts-
anwälte, Nechtsconſulenten, Sachwalter, Fürſprecher) dem Publikum bei der Verfolgung ſei-
ner Anſprüche an die Juſtiz und Verwaltung den nöthigen Beiſtand gewähren. Dieſer Gang
der Sache läßt ſich bereits aus der Geſchichte des röm. Rechts entnehmen. An die Stelle des
Patronus der älteſten Zeit, d. h. des Beſchützers aus der Mitte der herrſchenden Geſchlechter,
welcher den geringern Bürger fehon durch ſein Miterſcheinen dem Gerichte empfahl, treten
weiterhin in \{<wierigen Sachen der Advocatus, d.h. ein beliebig «herbeigerufener», angeſehe-
ner Rechtsverſtändiger, der dur ſeine Gegenwart beſtätigt, daß der Client nach ſeinem Rathe
ven Procef inftenirt, und der Orator, ein redefertiger, nicht allemal retsgelehrter Beiſtand,
der nach der Beweisanfnahme die Sache feiner Partei in einem zufammenfaffenden Vortrage
verficht und auf die Urtheiler zu wirken ſucht, Beide, der Advocatus ſowol als der Orator,
gehörten gewöhnlich der höhern Geſellſchaft an und leiſteten ihre Dienſte blos um der Volksgunſt
willen, ohne ſonſtiges Entgelt. Dieſe, ‘der Zeit der röm. Republik eigenthümliche Einrichtung
verlor ſich allmählich unter den Kaiſern. Die Unabhängigen unter den angeſehenen Juriſten
beſchränkten ſi<h nunmehr auf die Ertheilung ſchriftlicher Gutachten (responsa) und auf die
Förderung des Nehtsftudiums durch Wort und Schrift. Vor Gericht leiſteten aber den Par-
teien bezahlte Agenten (Patroni im neuern Sinne) Beiſtand, welche die Thätigfeit des Advocatus
mit der des Orator vereinigten und aus dieſem Geſchäft ein Gewerbe machten. Dieſe Agenten
famen bald unter eine Art Disciplin und galten zuletzt als öffentliche Diener, welche, nachdem
fie fich, über ihre Befähigung ausgewiefen, bei beſtimmten Gerichten feſt angeſtellt wurden.
Einen ähnlichen Verlauf nahm die Inſtitution in Deutſchland. Auch hier bedurfte in der
älteſten Zeit nur der Unfreie und Geringere eines Herrn oder Beſchüters, der ihn im Gericht
vertrat. Der Vollbürger ſtand dagegen felbft fir fein einfaches Recht ein, und die geſammte
Gemeinde wachte darüber, daß das Urtheil nicht von dem allgemein bekannten Herkommen ab-
wich. Rachmals kamen allerdings auh Stellvertreter und « Fürſprecher » (Prolocutores) vor;
beſonderer Rechtskenntniſſe bedurften dieſelben aber niht, und jeder Unbeſcholtene konnte zum
Fürſprecher erbeten werden. Die Mitwirkung derſelben war auch keine nothwendige, außer
wenn e8 fich um ‘die Vertretung®hülfloſer Perſonen handelte, oder wo das örtliche Geſet es
vorſchrieb. Nach der Aufnahme des Juſtinianiſchen Rechts gelangte im ganzen deſſen Syſtem
zur Geltung. Die Befugniß, mit den Parteien vor Gericht zu exſcheinen und deren Sache
mündlich und ſchriftlich zu vertreten, wird nun einem eigenen Anwaltſtande zu Theil, deſſen
Mitgliedſchaft ſih nur von rechtsverſtändigen, unbeſcholtenen Perſonen und mittels förmlicher
Anerkennung durch die obern Juſtizbehörden (Immatriculation) erwerben läßt. Nichtadvo-
caten können zwar als Bevollmächtigte « ſtatt » der Parteien, nicht aber « mit » denſelben bei
Gericht auftreten, und werden, wenn ſie ſolche Schriften, zu deren Anfertigung Rechtskennt-
niſſe erforderlich ſind, für andere zum gerichtlihen Gebrauche abfaſſen oder ſonſtige Anwalts-
geichäfte betreiben, wegen «Pfufchpraris» oder «MWinfelfchriftftellereiv beftraft. Die Vertretung
der eigenen Sache ſteht indeſſen nah gemeinem Recht für die Regel auch Nichtadvocaten frei
(Princip der freien Stellvertretung). Nur machen die Gerichte re<tsunverſtändigé Perſonen
darauf aufmerkſam, daß ſie ohne die Unterſtüzung eines Rechtsanwalts leicht ſachfällig werden
könnten. Die A. find zwar nicht Staatsbeamte, immer aber verantwortliche, in öffentlicher
Pflicht ftchende Perſonen. Sie ſollen jedent, auh dem Armen, auf Erfuchen rechtlichen Bei-
ftand Leihen, es müßte ihnen denn die Sache ungerecht erſcheinen oder die Vertretung derſelben
mit anderweiten Verpflichtungen unvereinbar ſein. Einmal übernommene Aufträge haben fie
als wahre « Rechtsfreunde» mit Treue und Hingebung auszuführen, dabei Vergleichen nicht
entgegenzuwirken, anvertraute Geheimniſſe nicht preiszugeben , die Zumuthung des Zeugniſſes
gegen den Clienten abzulehnen, ſich jeder Prävarication oder Verſtändigung mit dem Gegner
zum Zwe> einer, deri eigenen Partei nachtheiligen Behandlung der Streitfache zu enthalten,
und die Achtung gegen da8 Gericht und den Procepgegner dadurch zu bewahren, daß fie jede
Beleidigung in ihren Vorträgen vermeiden. Ueber die Geſchäfte, die ſie für jeden Clienten
führen, müſſen fie eigene Manual=- oder Brivatactenanlegen. “Eine Aufkündigung des Auf-
trags iſt dem A, nur aus zuläſſigen Gründen, z. B. wenn fich nachträglich die Ungerechtigkeit
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