680 Anadhronismus Anacyclus
ſchen Leben, ſodaß ſich bald die Einöden Aegyptens und die Lybiſche Wiiſte mit Eremiten füll-
ten. Von ſeinen Schülern führte Hilarion dieſes einſame Leben in Paläſtina ein, Euſtathius
in Armenien und Kleinaſien. Bald wurden die angeſehenſten Kirchenlehrer eifrige Lobredner
deſſelben und verpflanzten es auh ins Abendland. Da dieſe frommen Einſiedler aber von dex
verehrenden Menge um den Rath und Troſt ihrer geheiligten Seele, um den Segen insbeſon-
dere für herbeigebrachte Kranke (namentlih Gemüthsfkranke, Beſeſſene) und Kinder beſtürmt
wurden, ſo erreichten fie ihre Abſicht der völligen Abtrennung vom Leben faſt nie, ſondern
wirkten vielmehr, zum Theil wider ihren Willen, durch ihren religiöſen Zuſpruch weihend und
erhebend auf die Geſellſchaft. Unabhängig von den Mächten der Welt und hochverehrt von der
öffentlichen Meinung, kehrten. ſie zuweilen, wenigſtens auf Zeit, bei großen Gefahren von ſeiten
der Staatsgewalt oder bei wankendem Glauben mäßigend, ermuthigend und kräftigend, wie
Engel vom Himmel angeſtaunt und gehört, in das geſellſchaftliche Leben zurü>, Die furdt-
baren Quälereien, welche die A. zum Theil ihrem «ſündigen» Leibe auferlegten, die Ketten und
Eiſenringe, mit denen ſie ſich belaſteten, das Auffuchen von faft unbewohnbaren Gegenden und
Höhlen, das Abdarben ſelbſt der nöthigften Nahrungsmittel und Kleidungsftiide, das Auf-
zwingen von unnatürlichen peinlichen Körperſtellungen, 3. B. Jahrzehnte Hindurch auf Säulen
(j. Styliten), wodurch ſie theilweiſe dem Wahnſinn und langſamem Selbſtmorde verfielen,
waren Auswichfe eines mächtigen, ſittlichen Willens, den eine aufgeklärte Zeit zu beſſern
Dingen verwandt haben würde. Mehr und mehr traten indeſſen dieſe Auswüchſe zurü>, da die
Kirche ſelbſt ſehr bald die mildere, naturgemäßere Form der Zurücgezogenheit, das Cönobiten-
leben der Mönche, vorzog. Auch lag es im Klima und Charakter des Occidents, daß er die
Anachoretenform des Mönchslebens weniger ausbildete als der Drient. Wietvol aber die
anachoretiſche Lebensform mit der Entwickelung des ſocial-religiöſen Bewußtſeins fallen mußte,
ſo hatte fie doch unleugbar in der Zeit ihres Entſtehens und in den zunächſt ſich anſchließenden
Jahrhunderten ihre Berechtigung. Uebrigens haben die orient. Religionen insgeſammt, das
Iudenthum niht ausgenommen, ähnliche Erſcheinungen aufzuweiſen.
Anachronismus (griech) heißt ein Irrthum wider die Chronologie oder Zeitre<nung,
indem man eine Begebenheit aus Unkunde oder irgendeinem andern Grunde in einen falſchen
Zeitraum verſeßt. Der À, findet fich beſonders häufig in den Werfen der ſchaffenden Phan-
taſie, Er wird hier entweder mit Abſicht angewendet, um irgendeine Wirkung (z. B. das
Komiſche) zu erzielen, oder er iſt nur zufällig, indem der Dichter aus Unkunde irgendeine Be-
gebenheit, Sitte, Gebrauch u. f. w., der einer ſpätern Zeit angehört, bereits in einer frühern
gelten läßt. So z. B. läßt Shakſpeare in ſeinem « Zulius Cäſar » die Thurmglote drei Uhr
ſhlagen, und Schiller ſpricht in den « Piccolomini» in einem herrlichen Bilde von dem Bligz-
ableiter, obgleich dieſer erſt 120 Z. ſpäter erfunden wurde. Dieſe kleinen Verſtöße, die nur
den Gelehrten ſtören, heben nie die Wirkung der ganzen Dichtung auf. Nachtheiliger aber iſt
der A. in dichteriſhen Werken, wo zwar das äußere Leben einer verſchwundenen Zeit mit
pedantiſcher Genauigkeit ausgemalt, hingegen die ganze Geſinnungs- und Denkweiſe der mo-
dernſten Gegenwart in die ferne Zeit hineingetragen wird, An dieſem Fehler leidet die ganze
ältere Tragödie der Franzoſen, leiden die Werke eines Corneille, Racine, ebenſo viele unſerer
hiftor. Romane. Anders müffen die Anachronismen der Volkspoeſie und der Dichtungen des
Mittelalters beurtheilt werden. In der epiſchen Volkspoeſie ift der A, geradezu ein <araf-
teriftifches Merkmal. In ihr bleibt ein Achilles ſtets jung, eine Helena ftets fchön. Durch
Jahrhunderte hindurch begleitet Ruften in der perf., und Marko in der ferb. Heldenfage die
wandelnden Schidfale feines Volks, ohne zum Greis zu werden, ſtets in ungebeugter Kraft
des Mannes. Desgleichen faßte das Mittelalter in ſeiner Naivetät die ganze Welt nur- in
dem Spiegel ſeiner Zeit auf, und die dichteriſchen Bearbeitungen antiker Stoffe, wie z.B, die
«Aeneide» des Heinrich von Veldeke, die Schilderung der Thaten Alexander's d. Gr. vom Pfaf-
fen Lambrecht, find in Sitten und Softüm Bilder aus der Zeit deg Dichters, aber nicht der Zeit,
in der die geſchilderten Helden lebten. Selbſt ältere Maler laſſen in ihren frommen Bildern
von Chriſtus und den Heiligen die Ritter, Städte und Burgen ihrer Zeit exſcheinen.
Anacyelus, Ringblume, nannte Perfoon eine Kräutergattung aus der Familie der Com
pofiten (Abtheilung Corymbiferae) und der 19. Klaſſe des Linné’ſchen Syſtems, welche ſich
von der ihr zunächſt ſtehenden Gattung Anthemis (\. d.) durch geflügelte Akenen unterſcheidet,
wiederholt fiedertheilige Blätter und meiſt einen weißen Strahl und eine gelbe Scheibe befikt,
ſeltener der Strahlblüten gänzlich entbehrt. Von den Arten dieſer Gattung, welche der Mehr-
zahl nad) in den Umgebungen des Mittelländifchen Meeres wachſen, ſind zwei ihrer heiffräftigen