Full text: A bis Arad (Band 1)

  
  
  
  
  
814 Anthropomorphismus und Anthropopathismus 
ihm menſchliche Geſtalt, Augen, Ohren, Naſe, Mund, Herz, Eingeweide, Hände, Füße zuzu- 
ſchreiben ſcheint, ſo iſt dies nur als poetiſch veranſchaulichende, alſo ſymboliſche, Nede zu ver- 
ſtehen, Deſtoweniger trägt aber das Alte Teſtament ein Bedenken, Gott im Denfen, Ueber- 
legen, Beſchließen menſchlihe Weiſe, ſogar Sinnesänderung und Wechſel der Entſchließungen 
zuzuſchreiben, und neben der Liebe, dem Erbarmen und Mitleiden Gottes iſt auh von Auf- 
wallungen ſeines Zornes, von Haß und Neue bei ihm die Rede. 
Das Chriſtenthum hat in ſeiner Grundauffaſſung von Gott als dem himmliſchen Vater 
und der perſönlichen Liebe von vornherein ein anthropopathiſches Element, während es zugleich 
in dem großen Worte « Gott iſt Geiſt» den ihm ebenſo weſentlih eingeborenen fpeculativen 
Trieb verräth. Die Entwickelung dieſer entgegengeſezten Richtungen hat ſchon im kirchlichen 
Alterthum zu harten Gegenſäßen und theilweiſe ſelbſt zu leidenſchaftlihen Parteikämpfen ge- 
führt. Während namentlich die judenchriſtl. Nichtung und in Anſchluß an dieſe auh ſpäterhin 
der kräftige Realismus der Kleinaſiaten und Afrikaner fortwährend zu anthropopathiſchen und 
fogar anthropomorphiſtiſhen Vorſtellungen hinneigten, waren umgekehrt die philoſophiſch gebil- 
deten Kirchenlehrer, und vor allen die Alexandriner, auf Reinerhaltung des Gottesbegriffs von 
menſchlicher Beſchränktheit bedacht, ohne jedoch zu einer widerſpruchsfreien Auffaſſung gelangen 
zu können. Die Kirche hat in ihrer weitern Entwicfelung die Meinung, welche Gott einen 
Körper zuſchreibt, auch in ihrex ſubtilern Auffaſſung, die noh Tertullianus theilte, verworfen, 
dagegen die Abbildung Gottes unter menſchlicher Geſtalt und die ſymboliſe Redeweiſe des 
Alten Teſtaments für unbedenklich erachtet. So wurden im 4. Jahrh. eine ſyriſhe Mönchs- 
partei, die Audianer, und eine ägypt. Mönchspartei des Anthropomorphismus beſchuldigt, weil 
fie das göttliche Ebenbild in der Geſtalt des menſchlichen Leibes ſuchten. Im 10. Jahrh. fand 
Biſchof Natherius von Verona in feinem Sprengel Anthropomorphiften, welche, als der Biſchof 
¡ihre grobſinnliche Vorſtellung von der Körperlichkeit Gottes beſtritt, bitter klagten, er habe ihnen 
ihren Gott genommen. Doch hat auch in neuerer Zeit die Anſicht von einer, freilich geiſtartigen, 
Leiblichkeit Gottes vielfah Vertheidigung gefunden. Dem Anthropopathismus dagegen kounte 
die Kirche von vornherein nur in ſeinen gröbern Ausſchreitungen entgegentreten, da die Vor- 
ſtellungen von Gottes Zorn, Liebe, Erbarmen und Gnade gerade mit ihren weſentlichſten Dogmen 
unauflöslih verwebt waren. Die Dogmatiker ſcheiden zwiſchen dogmatiſhem und ſymboliſchem 
Anthropomorphismus und Anthropopathismus, und verwerfen jenen als Irrlehre, ohne zu 
ahnen, daß im Grunde auch ihre eigene Vorſtellung von Gott anthropopathifch war. 
Nachdem fchon Kant die Perfonification oder allegorifche Darftelung von «Vernunſtideen» 
für anthropopathifch und unzuläſſig in der Metaphyſik erklärt hatte, verwarf Fichte den Glau- 
ben an einen perfünlichen Gott überhaupt als anthropopathifch und bezeichnete Gott als die 
«moraliſche Weltordnung». Aehnlich hatte ſhon Spinoza geurtheilt, und die ganze von 
Schelling und Hegel eingeleitete philoſ. Bewegung ſchien es ſih zur Aufgabe geſtellt zu haben, 
der anthropopathifchen Vorſtellung der Kirche gegenüber den Begriff eines unperſönlichen Ab- 
ſoluten zur Geltung zu bringen, mochte man dies nun als abſolute Subſtanz, oder als abſolute 
Idee, oder als abſolute Identität des Idealen und Kealen bezeichnen. Unter den Theologen 
hat Schleiermacher die Perſönlichkeit Gottes ausdrü>lih in Abrede geſtellt, und Strauß in 
ſeiner Weiſe die Unmöglichkeit gezeigt, das über alle Gegenfäge hinausliegende Unendliche zu- 
gleich wieder als Einzelperſönlichkeit zu denken. Die Frage iſ nur, wie weit es möglich ſei, der 
menſchlichen Vorſtellung von Gott zu entrinnen, ohne den Gottesbegriff ſelbſt in leere Abſtrac- 
tion aufzulöſen. Wenn der neuere Pantheismus, wie ‘er namentlih durh Strauß ſeinen be- 
ſtimmteſten Ausdru> gefunden hat, zwar die Analogie des menſchlichen Geiſtes von Gott fern 
zu halten ſtrebt, dafür aber das Abſolute als die in der Natur mit bewußtlofer Nothwendigkeit 
wirkende, im denkenden Menſchengeiſte zum Bewußtſein kommende Vernunſtidee faßt, ſo heißt 
dies doch nichts anderes als Gott nach der Weiſe des Naturproceſſes betrachten, was im Ver- 
gleiche mit der menfchenähnlichen Vorſtellung von Gott keine höhere, ſondern eine niedere 
Stufe der Betrachtung iſt. Macht man ‘aber mit dem Begriffe der Geiſtigkeit Gottes Ernſt, 
ſo bleibt gar nichts übrig, als das göttlihe Weſen nah Aehnlichkeit des Menſchengeiſtes vor- 
zuſtellen, als mit Freiheit und Selbſtbewußtſein wirkend, d. h. als Einzelperſönlichkeit. Daher 
hat die neueſte, «über Hegel hinausgegangene» Philoſophie (Schelling in feiner ſpätern Pe- 
riode, I. H. Fichte, Weiße u. a.) die Nothwendigkeit anerkannt, Gott, wenn er wirklicher Geiſt 
fein ſolle, nah Analogie des Menfchengeiftes zu begreifen, namentlich alfo auch innere Unter: 
ſchiede, ja Gegenſätze in Gott zuzugeben, und die neuere Theologie hat nah ältern Vorgängen 
darauf hingewieſen, daß der menſhlihe Geiſt nur die Offenbarung oder das Ebenbild ‘des 
  
     
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
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