Full text: A bis E (1. Band)

  
Baden Ä 147 
politiſche Bedeutung trugen die Motionen, welche zunächſt auf materielle Suter: 
eſſen Bezug hatten; ſo die Motion Rotte>'s auf Ablôſung des Zehntens, motivirt 
durch die Heilloſigkeit dieſer Abgabe nach Vernunft und Erfahrung, geftügt auf die 
Foderung, das poſitive Recht auf dem Wege der Geſezgebung immer mehr dem 
Ideal des natärlichen Rechtes zu nähern, und auf die Politik, der Revolution die 
Rechtsbefriedigung als Abwehr. entgegenzuſeßen; ebenfo die Motion Knapp’s 
auf Ablöſung der Herrenfrohnen, oder vielmehr auf Herabfegung des in einem Ge: 
fege von 1520 beftimmten Ablöſungsfußes. Die Regierung ihrerſeits hatte Geſeß- 
entivürfe für eine Gemeindeordnung, für eine bürgerliche Proceßordnung mit Oef- 
fentlichkeit und Mündlichkeit, und für Aufhebung der Staatsfrohnen vorbereitet, 
Dies war gleichſam der Einſchlag zu dem reichen Gewebe der parlamentariſchen 
Verhandlungen, wobei die Hauptfragen jener Motionen den durchgehenden Faden 
bildeten. Jndem die Kammer ſich in dieſer Richtung bewegte, entwi>elte ſie den 
politiſchen Geiſt, dem ſie bis zu Ende treu blieb, die Auffaſſung eines nationalen 
Standpunktes für die Volksrepräſentanten als Theil einer deutſchen Geſammtheit, 
die vorherrſchende Einſtimmigkeit in allen Hauptfragen, den Reichthum an Jutel- 
ligenz und Rednertalent, die Verbindung des Glänzenden mit dem Gründlichen 
und Gediegenen, und endlich jene Charakterfeſtigkeit und Willenskraft, welche al- 
lein den Erfolg ſichern konnte. Gleichen Schrittes damit ging das öffentliche Leben 
des Volkes, ſich ausbildend in der parlamentariſchen Schule und beurkundet durch 
die Zeichen der lebendigſten Theilnahme und durch eine Menge von Petitionen für 
allgemeine Jntereſſen, namentlich für Preßfreiheit. Jn dieſer Einleitungsperiode 
beobachtete die Regierung eine neutrale, erwartende Haltung, die Adelsëammer 
deren politifcher Charakter erft durch die Berührung mit den Anträgen der Volks- 
kammer dem Prüfftein unterliegen follte, ergriff einftweilen für fich eine Snitiative 
in Sachen des Schulwefens, wohin die Motionen Zell’3 auf Revifion der Mittel: 
Ihulen und Weſſenberg's auf Errichtung von Gewerbsſchulen und Beſſerſtellung 
der Volksſchullehrer gehörten. Unterdeſſen kamen in der VBolkstammer die erwähn: 
ten Motionen nach und nach zur Berathung, zuerſt die Wiederherſtellung der Ver- 
faſſung, welche in beiden Kammern angenommen, und wobei auch in der Adels- 
kammer ausgeſprochen wurde, daß ſeit 1825 die Verfaſſung blos auf dem Papiere 
beſtanden habe. Die Verhandlung über die Herrenfrohnen führte zu dem Beſchluß 
eines funfzehnfachen Ablöfungsfußes für die walzenden und eines zehnfachen für 
die perſönlichen Herrenfrohnen, mit Zuziehung von Beiträgen aus der Staatscaſſe. 
Bald darauf begründete Welder noc) eine neue Motion auf eine conftitutionnellere, 
wohlfeilere und mehr ſichernde Wehrverfaſſung, gegründet auf Volksbewaffnung 
und Anwendung des Scharnhorſt'ſchen Syſtems auf den Verfaſſungsſtaat. So 
weit waren die ſtändiſchen Verhandlungen vorgerü>t, als die erſten Reſultate erz 
ſchienen: die Verkündigung der angenommenen Gefege úber Wiederherſtellung der 
Verfaſſung und Aufhebung der Staatsfrohnen. 
Dieſer Zeitpunkt bildete einen gewiſſen Abſchnitt in der parlamentariſchen Ge- 
ſchichte; die erſten Reſultate waren zugleich ein Unterpfand für die noch von der 
Zukunft erwarteten, und bis dahin hatte ſich noch keine Differenz zwiſchen den drei 
Zweigen der gefeggebenden Gewalt gezeigt. Im Jun. begann die Berathung über 
die Gemeindeordnung, mit der Umſicht und Gründlichkeit behandelt, welche das 
Gemeindeweſen als Baſis des öffentlichen Lebens in Anſpruch nehmen mußte, und 
durch eine lange Reihe von Sizungen fortgeſeßzt, wobei ſich Mittermaier als Bez 
richterſtatter ein beſonderes Verdienſt erwarb. Eine vielbeſprochene Zwiſchenver- 
handlung betraf die Emancipation der Juden, eine Frage, worin die Kammer ge: 
theilt, wofür die öffentliche Meinung noch nicht gereift ſchien: der Widerſtreit zwi- 
ſchen dem Princip dafür und der Meinung dagegen führte zu dem Beſchluß, daß 
der Regierung die Einleitung zwe>mäßiger Maßrêgeln und die Veranſtaltung ei- 
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