Full text: A bis E (1. Band)

Bewegung und Reaction 247 
mus] Bedrüekungen aller Art hatten in den meiſten Ländern eine fürchterliche 
Höhe erreicht. Selbſt kräftige und einſichtsvolle Fürſten waren nicht immer im 
Stande, umfaſſende und dauerhafte Reformen durchzuführen. So war der Bus 
ſtand ſeit dem dreißigjährigen Kriege und. länger geweſen; aber, wie weit wir auch 
noh von dem höchſten Ziele entfernt ſind, ſeit den lezten 50 Jahren iſt eine 
außerordentliche Veränderung vorgegangen, und Vieles, was vor 1780 ganz ge- 
wöhnlich war, würde jegt nicht mehr für möglich gehalten werben. Jn dieſer groz 
ßen Bewegung nimmt die franzöſiſche Revolution freilich eine wichtige Stelle ein, 
allein ſie iſt weder die Urſache noch der Anfang, und noch viel weniger das Ziel der- 
ſelben. Vielmehr iſt ſeit jenem Zeitpunkte im ganzen Reiche der Geiſter eine un: 
endlich verſtärkte Bewegung ſichtbar geweſen, und es ſind EntdeEungen gemacht 
worden, welche ſo tief wie die größten Erfindungen älterer Zeit in das Leben einge- 
griffen und ihm einen Umſchwung gegeben haben, wie ſeit dem Ende des 15. Jahr=- 
hunderts nicht ſtattgefunden hatte. Jn dieſer unermeßlichen Kette iſt die franzö= 
ſiſche Revolution nur ein Glied, die Tendenz auf politiſche Emancipationen bezeich- 
nend, welche ſich in ſo vielfacher Richtung gezeigt hat, und bisher ſtärker geweſen 
iſt als alle mit großer Kraftanſtrengung verſuchten Reactionen. Faſt ſchien die- 
ſelbe zuerſt durch den friegeriſchen Deſpotismus und die ſtrenge innere Berwalz 
tung Napoleons gebrochen und durch die Reſtauration der Bourbons in Frankz 
reid), Spanien und Neapel völlig unterdrüt zu ſein, als dies mit ſo großer Mühe 
neugegründete Gebäude durch die Revolucion vom Julius 1830 eine neue Er- 
\{hütterung erlitt. Die Urheber der berühmten Polignac'ſchen Ordonnanzen, welche 
die Reaction in und Außer Frankreich vollenden ſollten, vermutheten nicht, in dem 
Volke von Paris und Frankreich auf eine fo große Gegenkraft zu ſtoßen, an wel: 
cher ſich ihre ganze Neaction brach, Aber umgekehrt mußten ſelbſt Die, welche an 
dem Kampfe gegen die völlige Wiederherſtellung der alten (der That nach) unbe- 
ſchränkten Monarchie Ludwigs XIV. Theil genommen hatten, über den Abgrund 
erſchre>en, der ſih fo plöglich unter ihren Füßen. öffnete, und fie theils in eiz 
nen Kampf mit dem ganzen übrigen Europa zu verwideln, theils wieder in bie 
Schrecken einer wilden und rohen Vol£sherefchaft Hinabzureißen drohte. Sie eil- 
oe 1780 ten dem Rufe der Freiheit die ernſte Mahnung an öffentliche Ordnung, d. h. 
tung und Ri doch eigentlich bürgerlichen Gehorfam, hinzuzufügen. Aber die einmal entfeffelte 
), an deren È Kraft iſt nicht ſo leicht wieder zu zügeln, und die Aufſtände in der Hauptſtadt, in 
Strasburg und Lyon haben bewieſen, mit wie großen Schwierigkeiten die Aufrecht- 
haltung der bürgerlichen Ordnung zu kämpfen hat. Es gibt zu dieſem Ziele al: 
lerdings einen doppelten Weg, wovon der eine ſo gefährlich iſt als der andere. Man 
mußte entweder die neue Bewegung wieder unterdrü>en, oder ſie dadurch, in die 
Gewält zu bekommen ſuchen, daß man ſich an ihre Spige ſtellte. Das Teste iſt an 
ſich ebenſo wenig die alte Revolution von 1792 als das erſte die Reſtauration von 
1815, und für jeden dieſer beiden Wege haben ſich bedeutende Parteien in Frankz 
reich entſchieden, wovon die eine ſchon durch ihre Benennung: Partei der Bewe- 
gung, zu erkenn: n zu geben ſucht, daß fie nicht mit der Nevolution von 1792 verz 
wechſelt ſein will. Sie will hauptſächlich raſche Gründung, republikaniſcher În- 
ſtitutionen 'unter und neben der Monarchie, eine gute Gemeindeordnung, größere 
Beſchränkung der Geiſtlichkeit, Verminderung der Staatsbedürfniſſe, beſonders 
der königlichen Civilliſte, Reviſion und Milderung der Straſgeſebe, Preßfreiheit, 
Unterdrücung aller Hoffnungen und Verſuche einer dritten Reſtauration der ältern 
Linie der Bourbons. Vieles iſt davon bereits erreicht, weil auh die Partei des 
Hemmens und Einhaltens mit ihr in den Hauptpunkten einig iſt; die Erblichkeit 
der Pairie iſt abgeſchafft, und die Pairskammer wird ſich bald in einen lebenslängli- 
chen Senat perſönlicher Notabilitäten umgeſtalten, indem ſie wie fie jest iſt, mit 
oder ohne Erblichkeit, offenbar alle Haltung und Bedeutung verloren hatte. Die 
  
  
   
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.