Full text: A bis E (1. Band)

  
472 Colonien, Coloniſation 
gänzlich auflöſt, und nur nah und nach mit ſehr veränderten Verhältniſſen und 
Sweden wieder emporfteigt, war ihnen etwas Srembartiges. In diefem: an fich 
{on beſchränktern Kreiſe, welcher dadurh noch mehr eingeengt wurde, daß auf dem 
Raume, welchen die Völker verwandter Abkunft und Bildung einnahmen, {on 
vom erſten Beginn an eine Menge von einander unabhängiger Gemeinweſen ent- 
ſtand, mußte ſehr bald die Bevölkerung fo zunehmen, daß ſhon dadurch allein die 
Nothwendigkeit herbeigeführt wurde, für einen Theil derſelben neue Wohnſibe zu fur 
chen, welche, eben weil der benachbarte Boden ſchon von andern beſet war, meiſt nur 
in der Ferne gefunden werden konnten. Jnnere Spaltungen waren auf feine beffere 
Weiſe zu lôſen, als wenn ein Theil der Unzufriedenen ausſchied oder mit günſtigen 
Bedingungen für ihren häuslichen Wohlſtand, mit anfehnlihem Grundbeſiß in 
einer fruchtbaren Gegend, und mit der Ausficht, in der neuen Niederlaſſung den 
Urſachen der Unzufriedenheit in der Mutterſtadt zu entgehen, zu Gründung eines 
eignen Gemeinweſens ausgeführt wurde. Untergeordnet ſollte freilich auc die 
Eolonie bleiben und alle politiſchen Verhältniſſe der Mutterſtadt annehmen, ſelbſt 
ihren innern Einrichtungen getreu bleiben. Allein die griechiſhen Staaten ver- 
mochten nicht dies durchzuführen, und nur Rom behauptete, wiewol auch nicht 
ohne große und blutige Kämpfe, eine Oberherrſchaft , welche fich zulegt in einen 
ſtrengen Deſpotismus eines Einzigen umgeſtaltete. Bon einer andern Art waren 
die Niederlaſſungen der handelnden und feefahrenden Völker, welche zum Theil die 
erſten Bewohner nach völlig menſchenleeren Gegenden gebracht haben, wie nach der 
Sage durch Phönizier und Kärthager Spanien und Jrland zuerſt bevölkert worden 
find. Die Eroberungen, welche Rom außerhalb Stalien machte, können auh 
unter den Geſichtspunkt der Colonien geſtellt werden; denn während ein Vol der 
rômiſchen Herrſchaft unterworfen wurde, ging nicht nur die ganze Verwaltung ir 
die Hände der Rômer über, Und es zog ein Heer von Beamten dahin, ſondern die 
militaieifche Befegung führte zu einer feſtern häuslichen Niederlaſſung einer großen 
Dahl, und andere Römer benugten die Gelegenheit zu Erwerbung von Grundeigen- 
thum, zuweilen von ſehr großer Ausdehnung, womit auch wol Handelsſpecula- 
tionen verbunden waren. Ob durch dieſe Art der Coloniſation die Nationalität der 
altern Einwohner und in wie weit ſie unterdrü>t wurde, oder ob umgekehrt die 
alten Einwohner ſich in jener Nationalität behaupteten, hing wol nicht allein von 
der Zahl der neuen Ankömmlinge ab, ſondern am meiſten von dem Culturzuſtande 
der Völker, Nordafrika, Britannien, Gallien und Spanien wurden faſt ganz 
rômiſch, während im Oſten die ältere Cultur die Herrſchaft behauptete. Die fos 
genannte Völkerwanderung iſ doch auch in ihren größten und wichtigſten Erſchei- 
nungen nichts Anderes als Coloniſation, welche nun die umgekehrte Richtung nahm, 
nicht geographiſch — denn der ganze Zug geht unveränderlich von Oſten nah We- 
ſten —, ſondern inſofern, daß nicht die größere Cultur, ſondern die größere, wenn 
auch rohere Kraft den Sieg davontrug. Bei vieler Grauſamkeit und Barbarei war 
doch weniger ſittliches Verderben mit derſelben verbunden, als fidy in der römifchen 
Welt großentheils durch das Misverhältniß zwiſchen Armuth und Reichthum und 
durch das Ubermaß von Sklaven entwi>elt hatte. Auch bei dem Befegen der römi: 
ſchen Provinzen durch die germaniſchen Stämme beſtand die Hauptſache (die wenigen 
Fälle ausgenommen, wo Verwüſtung, Mord und Verkauf als Sklaven den größten 
Theil der alten Bevölkerung hinwegnahm) darin, daß die öffentliche Gewalt in die 
Hände der Fremden kam, die Reichen ihre Güter und Sklaven mit den Gâſten thei: 
len mußten, die Armen aber in ein Verhältniß von Zins- und Dienſtpflicht traten, 
welches ungleich milder war als die rômiſche Sklaverei. Nur in der Hinſicht kann 
man freilich die neu geſtifteten Reiche den Colonien nicht völlig gleichftellen, daß 
eine Spur der Abhängigkeit von dem Hauptftamme ſich nirgend zeigt , ſondern 
der Führer, welcher mit ſeinem Gefolge eine neue Herrſchaft gründete, ſogleich in 
  
—a 
=>. 
<2
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.