Full text: A bis E (1. Band)

  
42 Ägypten 
Zeichnen ſtellten ſich auch die religiöſen Vorurtheile der Türken entgegen, die man 
nach und nach durch Liſt zu Überwinden ſuchen- mußte. Die Lehrzimmer wurden 
mit Kupferſtichen geziert, welche Landſchaften, Bauwerke und Bildniſſe vorſtellten. 
Wie aus Verſehen ließ Osman Bey einſt Lavater's „Phyſiognomit“ auf dem Schul- 
tiſche zurú>. Das Buch lief von Hand zu Hand. Die erſtaunten Zöglinge tha: 
ten Kinderfragen, warum z. B. ein im Profil gezeichneter Kopf nur Ein Auge 
habe. Man ließ den Frager dieſelbe Stellung annehmen und bewies ihm dadurch 
die Wahrheit der Abbildung. Ein Hauptmann war der Erſte, der einen Kopf zeich: 
netez ſeine Mitſchüler fürchteten für ihn, aber der Beifall, den Osman Bey ihm 
bezeigte, brachte die gewünſchte Umwandlung hervor. Es entſtand allgemeiner 
Wetteifer, und die Wenigen, die noch Bedenklichkeiten zeigten, ſahen ſich von den 
Andern verhöhnt. Die Zöglinge wurden nah und nach höflich und duldfam, 
mehre lernten Franzöſiſch, und da die ſpäter aufgenommenen Schüler Beiſpiele 
vorfanden, ward es ihnen nicht ſchwer, ſich an dieſelben Arbeiten zu gewöhnen. Die 
iz dieſer Anſtalt gebildeten Offiziere werden beim Generalſtabe, Genieweſen, in der 
Artillerie oder auch in der Civil- und Militairverwaltung angeſtellt. Das große 
Bildungslager mit dem Generalſtabe und der Offizierſchule wurde ſpäter nah 
Kangha, vier Stunden nördlich von Kahira an der Straße nah Syrien, verlegt, 
auf einem feſten ſandigen Boden, den die gewöhnliche Nilhöhe bei Überſchwem- 
mungen nicht erreicht. Die neuen Einrichtungen und Anſtalten bildeten allmälig 
ein freundliches Dorf von europäiſchem Anſehen mit Gärten und Maulbeerpflan- 
zungen, die aus dem vier Stunden entfernten Nil mittels hydrauliſcher Maſchinen 
bewäſſert werden. Es heißt Dſchiad Abad. Eine halbe Stunde vom Lager ward 
ein großes Gebäude unter der Leitung des franzöſiſchen Arztes Clot zum Militaitz 
ſpital eingerichtet, das für mehr als 1200 Betten Raum hatte. Später ward eine 
medicinifche Schule damit verbunden. Man ſuchte 100 gebildete junge Araber 
aus, da ſich. die Türken ausſchließend zum Waffenhandwerke beſtimmt glaubten, 
gab ihnen eine Uniform und den Titel Zöglinge der Arzneiſchule. - Der Paſcha 
mußte beſonders dieſe Anſtalt unter ſeinen mächtigen Schug nehmen, da Anatomie 
und Leichenzergliederung hier der gefährliche Stein des Anſtoßès für das Volksvor: 
urtheil waren. Es wurde in den arabiſchen Geſchichtsbüchern Alles aufgeſucht, 
was zu Gunſten der Arzneiwiſſenſchaft ſprach ; man erinnerte an Abu Sana (Avis 
cenna) als den gelehrteſten Arzt ſeiner Zeit, welcher der gebildeten Welt zuerſt die 
Lehren des Hippokrates zugänglich gemacht habe; man zeigte, daß die Arzneikunſt, 
die einſt unter den Arabern in ſo großem Anſehen geſtanden, auch jekt noch ausge- 
übt werden dürfe, und bewies, daß die Kenntniß des lebenden menſchlichen Körpers 
nur durch das Studium des thieriſchen Mechanismus an Leichen erlangt werden 
Eönne. Als diefe Grundfäge Eingang gefunden hatten, war alles Übrige leicht. 
Der Zergliederungsfaal war jedoch nurden Zöglingen zugänglich, die durch einen 
feierlichen Eid ſich verpflichten mußten, Niemand zu entde>en, was in den Vorle- 
ſungen gelehrt wurde. Sie waren Eingeweihte, und das Geheimniß wurde bewahrt. 
Der türkiſche Verwalter der Anſtalt war durch ſtrenge Befehle gebunden, die zur 
Zergliederung beſtimmten Leichen nur durch einen geheimen Eingang in den Saal 
zu bringen. Die Zöglinge mußten zugleich am Krankenbette dienen, um ſich fcüh 
mit chirurgiſchen Operationen bekannt zu machen. Nach dreijähriger Lernzeit wur- 
den ſie in die Hoſpitäler oder zu den Regimentern verſet. Dieſe Anſtalt iſk eine 
der wichtigſten Einrichtungen, eine wunderſame Neuerung in einem türkiſchen 
Lande, und wird gewiß dazu beitragen, die Köpfe aufzuhellen und die Herrſchaft des 
Borurtheils zu erſchüttern. Für verſtümmelte oder im Dienſte untauglich gewor- 
dene Krieger wurde gleichfalls Sorge getragen, auch eine unerhörte Neuerung unter 
den Osmanen. 
Mohammed Ali hatte ſchon, ehe ex in den-Kampf gegen die Griechen gezogen 
  
  
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