Full text: A bis E (1. Band)

  
  
  
Conſtitutionnelles Syſtem 517 
nach das franzöſiſche Volk zu einer förmlichen Organiſation des Widerſtandes, 
man möchte fagen, genöthigt hat. Die von Ludwig XVII. gegebene Verfaſſung 
hätte, wäre fie mit Redlichkeit und Mäßigung, aber auch mit Nachdru> gehand- 
habt worden, den größten Theil des franzöſiſchen Volkes befriedigt, und nach und 
nach allen Widerwillen entwaſſnet. Es iſt aber ſtatt deſſen die Nation unauf 
hörlich gereizt und die öffentliche Meinung beleidigt worden, indem man zugleich 
die Kräfte des Staats auf eine unwürdige Weiſe vergeudete. So wurde die Nation 
zu einem Widerſtande getrieben, welcher ſich in den verfaffungsmäßigen Grenzen 
hielt und dadurch die Regierung nöthigte, dev angreifende Theil zu werden. Es iſt 
eine ſehr merkwürdige Erſcheinung, wie ungeachtet eines hôchſt ungünſtigen Wahl: 
geſeßes und der ſiebenjährigen Dauer der Deputirtenkammer dennoch zuerſt in der 
Pairskammer eine zwar ſehr gemäßigte, aber doch in den wichtigſten Fällen ſchr feſte 
Oppoſition auftrat, an welcher die Verſuche des Miniſteriums, aus allem Grund- 
eigenthum Majorate zu machen (eine unglüfliche Nachahmung Englands) und die 
Fury in Criminalſachen zu einem willenloſen Werkzeug der Gewalt herabzuwür- 
digen, völlig ſcheiterten, und wie ſich ſpäterhin in der Wahlkammer eine Mehrzahl 
von liberalen Deputirten zuſammenfand, deren Beharrlichkeit die Kataſtrophe des 
Jul. 1830 herbeiführte. Der dreitägige Kampf in der Hauptſtadt iſt dabei nicht 
das Wichtigſtez er würde nichts haben entſcheiden fônnen, wenn nicht die Sache 
der âltern Linie ſchon in dem übrigen Frankreich verloren geweſen wäre. Mit Hülfe 
der Armee und der Provinzen würde eine rebelliſche Hauptſtadt wol noch zur Unter- 
werfung gebracht worden ſein. Bei weitem mehr Aufmerkſamkeit muß es erregen, 
daß mit jahrelanger Bemühung der Einfluß der Krone bei den Wahlen, welche ſie 
durch die Ernennung der Práſidenten , durch die doppelte Wahlberechtigung der 
Reichen in den Departementsverſammlungen, wo ſie allein, und in den Bezirken, 
wo ſie noh einmal mit den Uebrigen wählten, durch die Nöthigung aller Staats- | 
beamten, für die Regierungscandidaten zu ſtimmen, ganz in der Hand zu haben 
ſchien, ſo geſchwächt wurde, daß die Zahl der Dppoſition, die auf Fünfherabgefommien 
war, wieder bis auf 221 ſtieg, und jede neue Wahl ihr nur Verſtärkungen zuführte. 
Dies Beiſpiel iſt niht umſonſt gegeben worden. Auf eine ähnliche Weife find in 
England gegen die mächtigſte aller Ariſtokratien, angeführt von einem Manne, dem 
wenigſtens der Ruhm großer. Unerſchroenheit nicht fehlt, Reformen zu Stande 
gebracht worden, welche man vor 50 Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Am 
2. Jun. 1780 erregte eine Bill, wodurch den Katholiken geringe Erleichterungen 
zugeſtanden wurden, einen achttägigen Tumult in London, und jest gelang es eini- 
gen Männern, mit Hülfe der öffentlichen Meinung die Emancipation der 
Katholiken (f. d.) durch die Parlamentsacte vom 13. April 1829 durchzu- 
feßen. Noch bedeutender iſt der Sieg, den die óffentliche Meinung in dieſem 
Augenblicke in der Angelegenheit der Parlamentsreform errungen hat, welche 
als der Anfang zu noch weit größern und tiefer eindringenden Reformen betrachtet 
werden muß. Was darauf in Belgien, Polen, Ftalien und in mehren deutſchen 
Ländern verſucht und wirklich ausgeführt worden iſt, ſind alles nur Ausbrüche, zum 
Theil traurige und ſtrafbare Verirrungen ebendeſſelben Gefühls, daß in den Maſſen 
eine Macht liegt, welche, wenn auch unfähig, ſich auf die Dauer zu behaupten, doch 
für den Augenbli> leicht ſtärker iſt als Alles, was ihr entgegengefegt werden kann. 
Dieſe hier aufgeführten Thatſachen, welche wir nur als ſolche geben, ohne uns in 
die Nechtsfrage einzulaſſen, ſind die Grundlagen des conſtitutionnellen Syſtems in 
Europa und werden es wenigſtens in Frankreich und England unfehlbar bleiben. 
Was in andern Ländern geſchehen kann oder geſchehen wird, liegt freilih im Schooſe 
der Zukunft, allein die größere Wahrſcheinlichkeit iſt doch dafür, daß ſie nicht wieder 
weggeräumt werden können, ſondern überall an Umfang und Feſtigkeit zunehmen 
werden. Die Folgerungen ergeben ſich von ſelbſt, Aber eine andere Seite des con- 
 
	        
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