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Deutſche Literatur im Auslande 643
er auch an fich felbft fein mag, müßte völlig umgegoffen werden, um zu der feſten,
ſichern Klarheit der Anordnung, zu der Gedrungenheit der Form und dem Leben
und der Elafticität der Bewegung zu gelangen, ohne welche in einem Lande wie
England, deſſen Literatur ihre Richtung und Färbung vorzugsmeife von Welt: und
Staatsmännern (men of the world and of business) erhalten, nicht eine allges
meine Aufmerkfamkeit zu gewinnen vermag.” Dieſer Spleen des engliſchen
Reviewers ſteht jedoch feldft unter feinen eignen Landsleuten jegt zu einzeln und abs
geſondert da, als daß wir uns durch ſeine Anſicht, die nur aus individueller Un-
Eunde hervorgegangen, irre machen laſſen könnten; denn daß auch die deutſche Li:
teratur keine Profeſſorenliteratur mehr iſt und ihre Emancipation aus dem Schul-
ſtaube lângſt erlebt hat, daß auh wir heutzutage ſogar în einet gewiſſen Salons-
literatur mehr, als uns felbft wünfchenswerth fein muß, Fortſchritte gemacht ha-
ben, Eannn dem Engländer aus den unzähligen Anzeigen und Auszügen, die von
den „Briefen eines Verſtorbenen“ faſt in allen engliſchen Blättern gemacht wor-
den ſind, faum entgangen ſein. An dieſen Briefen („Tour in England, Ireland
and France, in the years 1828 and 1829 etc., by a german prince“, 2 Bbe.,
London 1831) haben die Engländer, die ihnen einen ſo rauſchenden Beifall ge-
fpendet, nun ohne Zweifel etwas, das ihren Begriffen von Weltmannsliteratur
gemäß ſein dürfte, obwol freilich das „Westminster review“ Miene gemacht, den
Deutſchen dies Buch abzuſprechen, indem es in einem Artikel darüber ſeltſamerweiſe
behauptete, aber nicht bewies, daß der Verf. der „Briefe eines Verſtorbenen“/ nicht
der Fürft Pürdler von Muskau, fondern ein junger Seländer fei, der fie im Aus:
lande geſchrieben und ins Deutſche habe überfegen laſſen. Daß man der deutſchen
Literatur Eeinen Weltton im Auslande zutrauen möchte, wurzelt aber beſonders in
dem allverbreiteten Vorurtheil von unferm teaumerifchen und myftifchen Charakter,
das dann auch vornehmlich die Engländer noch vielfach gegen uns hegen mögen, und
welches der hellbliŒende Verf. des Auffages: „State of german literature“ (im
„Edinburgh review”), von dem wir oben ausgingen, als den zweiten Hauptpunft
der von feinen Landsleuten uns woiderfahrenden Vorwürfe aufzufaffen und zu bes
richtigen ſucht. Er kann wol ſelbſt nicht umhin, eine grundthümliche Hinneigung
der Deutſchen zum Myſticismus zuzugeſtehen, und mit Recht z aber er weiß zugleich
die vielen gemiſchten Beſtandtheile, die man in den Begriff des Myſticismus je
nach den verſchiedenen Standpunkten zu legen pflegt, von einander zu ſichten und
ihn in ſeinem Zuſammenhange mit wahrhaft wiffenihaftlicher Tiefe richtig zu
verſtehen. Die Bemerkungen aber, die er von dieſem Geſichtspunkt aus Über
deutſche Philoſophie, namentlich über Kant, Fichte und Schelling, daran knüpft,
ſind an ſich ungenügend, obwol gut gemeint, und beweiſen auch hier wieder an
dem Beiſpiel eines ſonſt hôchſt geiſtreichen Mannes, wie ungeeignet bie prafti-
hen Engländer, die gegenwärtig gar keine nationale Philoſophie haben, noh im-
mer für alle Auffaſſung metaphyſiſcher Speculation find.
Einer der thätigften Überfeger und Werbreiter der deutfchen Literatur in
England iſt gegenwärtig Thomas Carlyle, der theils durch feine, freilich
ſehr dürftig ausgefallene Biographie Schiller's („The life of Schiller, an
examination of his works“, London 1825; ins Deutſche überſeßt mit einer
Einleitung von Göthe, Frankfurt a. M. 1830), theils durch ſein Verhältniß
zu Göthe, mit dem er über die gegenſeitige Annäherung ihrer beiderſeitigen
Nationalliteraturen einen lebhaften Briefwechfel unterhalten, feit einigen Jah-
ren auh bei uns bekannter geworden und in dem die Jdee einer planmäßigen An-
eignung der deutſchen Literatur am meiſten zum Bewußtſein gekommen zu ſein
ſcheint. Feüuher in Edinburg lebend, zog er ſich darauf in die ländliche Einſam-
keit einer’ fehottifchen Gebirgsgegend zurüdf, um fich lediglich durch Studien der
deutfchen Literatur auszubilden. Außer den vielen und oft ſehr eindringlichen
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