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Deutſchland 669
auch im Frieden bereit zu halten, führte zu einer Erhöhung des Staatsbedarfs, die
überall einen unverhältnißmäßigen Theil der Einnahme den Bedürfniſſen der
Volkscultur entzog. Der Maßſtab, den ſelbſt die Bundesgeſeße hinſichtlich der
Beurlaubung angaben, wurde nicht immer beachtet, und fürſtliche Vorliebe oder
der Einfluß des Adels, der faft überall die Offizierſtellen als eine Verſorgungs-
anſtalt ſeiner Genoſſenſchaft anſah, vereitelte die Wünſche der Stände, wenn ſie
auf Verminderung der Kriegsmacht in Friedenszeiten drangen. Solche Begünſti-
gungen führten dann zu den auffallenden Ergebniſſen, daß 1830 im Großherzog-
thum Heſſen an der Spibe einer -Kriegsmacht von 8000 Mann 14 Generale
ſtanden, und im Königreiche Sachſen für die Lehranſtalten zur Bildung junger,
meiſt adeliger Offiziere um dieſelbe Zeit 44,000 Thaler aufgewendet wurden, wäh-
rend der Staat für ſämmtliche übrige Lehr- und Bildungsanſtalten des Landes un-
gefähr 115,000 Thaler beitrug. Blicken wir auf andere Zweige der Verwaltung,
ſo gab in mehren deutſchen Staaten die theure und zögernde Rechtspflege ebenſo
viel Anlaß zu Klagen, als jene Erweiterung der Polizeigewalt, an welche während
der Fremdherrſchaft, wo die heilige Scheu vor dem Rechte gewichen war, die deut-
chen Völker ſich hatten gewöhnen müſſen. Nicht minder nachtheilig war das im-
mer ſichtbarer hervortretende Streben, alle Zweige der Staatsgewalt in einen Mit-
telpunkt zu vereinigen, wodurch die Verwaltung ebenſo koſtbar wurde, als ſie díe
freie Bewegung der Kräfte des Volks ſtörte. Überhaupt verminderte ſich das alte
deutſche Übel der adminiſtrativen Bielthätigkeit und des bevormundenden Eingrei-
fens in die Volkswirkfamkeit um ſo weniger, als faſt in allen deutſchen Staaten
das Gemeindewefen entweder gar nicht geordnet war, oder wo man das treffliche,
ſeit 1808 im preußiſchen Staate aufgeſtellte Muſter endlich befolgt hatte, wie in
Baîern, Würtemberg und im Großherzogthum Heſſen, die Gemeindeverwaltung
noch ſo ungeübt war, daß ſie die wiedererlangte Autonomie nicht immer erſprießlich
anmendete und für manchen Misgriff der Lehrjahre zu büßen hatte. Die Auss
dehnung der vorſorgenden Thätigkeit der Regierung mußte, zumal in einer Zeit des
Nothſtandes, doppelt nachtheilig werden, da die Staatsverwaltung, wenn ſie An-
gelegenheiten ſelbſt beſorgen will, welche eigentlich der Volksthätigkeit Überlaſſen
werden ſollen, die Anſprüche auf ihr hülfreiches Eingreifen vermehrt, und eben da-
durch, je ſeltener ſie Befriedigung gewähren kann, Unzufriedenheit erregt. Wäh-
rend der Staatsbürger, wenn er gewöhnt wird, von der öffentlichen Verwaltung
Alles zu erwarten, ihr auch leiht die Schuld unabwendbarer Unfälle zuſchreibt,
entwöhnt ſolche Bevormundung ihn der Selbſtthätigkeit und läßt ihn vergeſſen,
daß, wenn die Regierung auf Wegräumung der Hinderniſſe der Volksthätigkeit
denft, dieſe in ihrem weiten Kreiſe an den jest jenfeit des Rheins fo oft in einem
andern Sinne gebrauchten Spruch ſich halten ſoll : Aide-toi, le ciel t’aidera.
Betrachten wir die verwi>elten öffentlichen Verhältniſſe Deutſchlands, ſo
erkennen wir noch eine Urſache der neueſten Zuſtände, die mehr als der flüchtigen
Andeutung bedarf, womit wir fie bereits berührt haben: das Misverhältniß der
Stände, jenen den ganzen Staatsorganigmus ducchdringenden Ariftofratismus im
meiteften Sinne des Wortes, in welchem er jede Überhebung über das gleiche Recht
des Staatsbürgerthbums bezeichnet. Wir hatten ſchon lange Verfaſſungsurkunden,
worin der Grundſaß ausgeſprochen wurde , daß jeder Staatsbürger ohne Unter-
ſchied des Standes und der Geburt zu allen Stellen im öffentlichen Dienſte gelan-
gen Eönne; aber die Verkündigung dieſer Anſpruchsgleichheit fonnte dem tief:
gewurzelten Übel nicht abhelfen, und die Klagen über Begünſtigung des Adel-
thums oder den Einfluß des Vetterthums, in der Hofburg und in den Kriegszelten,
wie in den Gerichtspaläſten und in den Rathsſtuben, waren nirgend verſtummt.
Zwar ging die Adelsbegünſtigung nicht äberall ſo weit als in einem deutſchen
Staate, der mit Recht als ein Sis hoher Geiſtesbildung gerühmt wird, wo bis