Full text: Die Feldwirthschaft (Heft 71)

   
Die europäifchen Nahrungspflanzen. 105 
Mannigfaltigkeit zeigte der Roggen rückfichtlich feiner Beftockungsfähigkeit, wie 
wir es namentlich an den verfchiedenen Varietäten des Staudenkornes und des 
Johannisroggens fehen. Diefe Variabilität erftreckt fich fogar bis auf den Blüthen- 
ftand des Roggens. Während nämlich die normale Blüthe des Roggens zwei 
fruchtbare Blüthchen hat, welche je eineFrucht ausbilden, und zwifchen beiden ein 
geftieltes, unfruchtbares Blüthchen befitzt, hatteMartiny (aus Scharfenort bei Dan- 
zig) mehrblüthigen Roggen in Roggenähren exponirt, die, unter befonders 
günftigen Umftänden erzogen, felbft drei und vier Körner in einem Aehrchen 
entwickelten: dadurch erhielten die Aehren ein fehr verbreitetes Ausfehen. Aehn- 
lich anfehnliche Breite der Aehren zeigte der belgifche Campinerroggen. Noch 
müffen wir des höchft intereffanten Naturfpieles gedenken, welches in der Poppels- 
dorfer Lehrfammlung aufgelegt war, nämlich des prächtigen Exemplares eines 
äftigen Roggens mit verzweigten Aehren. 
Der Hafer (Avena L.) hat im Allgemeinen nebft dem Roggen wohl die 
geringfte Verbreitung in der Cultur unter den Cerealien erfahren; gegenwärtig 
wird er am meiften in den rauheren Gebirgsgegenden und in den kälteren Diftric- 
tenNordeuropas angebaut. So hat z.B. Schweden im Jahre 1870 allein 20,234.417 
Cubikfufs Hafer ausgeführt. Seit 2000 Jahren in Deutfchland cultivirt, reicht 
deffen Anbau bis Island und Lappland. In einigen Provinzen des preufsifchen 
Staates, befonders in Brandenburg, Pommern, Hannover, Schleswig-Holftein, 
fowie in Baiern, Sachfen, Thüringen und Oldenburg gehört der Hafer zu den am 
meiften cultivirten Pflanzengattungen. In Oefterreich liefern vier Fünftheile der 
Gerfte und des Hafers Ungarn, Galizien, Böhmen und Mähren. Auch in Amerika 
wird ziemlich viel Hafer gebaut. So betrug die Gefammtproduction Amerikas an 
Getreide im Jahre 1870: 
Mais. . . 385.6 Millionen Hektaren im Werthe von 3159'6 Millionen Francs 
Weizen .;;. 831 = . u 2 G . i 
Korn... B:A x 3 5 = 66:1 > = 
Gerlte ;si:. 93 x s n 3 116.5 i = 
Fläfer.s..... 871 a : E i 5617 2 n 
Als Nahrungsmittel (zuBrod) wird derHafer gegenwärtig noch in Schottland 
und Skandinavien benutzt ; in Deutfchland dient er als Grütze, in Belgien zu Bier, 
am meiften aber als die wichtigfte Frucht zu Viehfutter. Selbft in Algier findet 
der Hafer als Futterpflanze Verwendung, in welchem Falle er nach beendetem 
Körneranfatze gemäht wird. 
In der Weltausftellung fand man Haferproben faft aus allen Ländern der 
Welt: „von Norwegen bis Algier, von Rufslands neu eroberten Gebieten Central- 
afıens über Europa bis an die weftlichen Geftade Nordamerikas“, hauptfächlich 
in der intereffanten Getreide-Pflanzenfammlung der Pacificbahn, wo befonders 
der kleine fchwarze Mohrhafer mit ftarken Halmen fehr auffallend war. Die 
fchönften Proben von fchwerem Hafer ftellte England (Hallet’s genealogifcher, 
Hopetowe, Berwick, Winterhafer, fchwarzer Hafer, Chevalier), Belgien (aus dem 
fandigen, condrufifchen und Ardennenboden) und das deutfche Reich (podolifchen, 
Probfteier, weifsen Grannen- und Grannengoldhafer, Früh oder Augufthafer 
Spät- oder Kartoffelhafer) aus. Rufsland exponirte vortrefflichen rufffchen Hafer, 
welcher luftrocken 84 Pfund holländifch fchwer war, Kamtfchatkahafer, fibirifchen 
Frühhafer, nackten oder tatarifchen Hafer (A. nuda L.), fchwarzen Hafer. Auch 
Oefterreich bewies durch die ausgeftellten Haferproben, dafs es eine hervor- 
ragende Stelle unter den Haferproducenten einnimmt; ähnlich wie in Deutfch- 
land fteht hier der gemeine Rispenhafer, A. fativa L., in vorwiegender Cultur. 
Der fchöne mährifche Gebirgshafer, fchwarzer Gebirgshafer aus Krain, 
böhmifcher Gebirgshafer, welcher per Joch 24 Metzen Körner a 50 Pfund und 
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