Fremdländifche Pflanzenftoffe zu induftriellem Gebrauche.
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könnten, umfomehr, als nicht wenige darunter exiftiren, die von den Urbewohnern
der warmen Länder feit undenklichen Zeiten zur Herftellung von Bekleidungs-
gegenftänden, Seilen u. f. w. fo angewendet werden, wie feit alter Zeit bei uns
in Europa der Flachs.
Die Weltausftellungen bieten dem Induftriellen die befte Gelegenheit, die
Faferftoffe der Welt kennen zu lernen, und die früheren Expofitionen zu Paris
und London haben zur Einführung einiger Faferftoffe -— der Jute und des China-
grafes — in die europäifche Induftrie nicht wenig beigetragen. Doch will es uns
fcheinen, als würde die Gelegenheit zur Auffindung nützlicher Fafern auch. diets
mal in Wien noch nicht gehörig ausgenützt worden fein. In den nachfolgenden
Zeilen wollen wir auf jene Fafern hinweifen, welche der Einführung bei uns
werth wären.
Als wir den Bericht über die letzte Parifer Ausftellung fchrieben, war die
Jute — die Baftfafer von Corchorus capsularis — bei uns noch fehr wenig
gekannt. Wir betonten damals die Wichtigkeit der Jute-Induftrie und haben den
rafchen und in feinen Erfolgen ungeahnten Auffchwung der Juteverarbeitung in
England hervorgehoben.
Heute ift es wohl nicht mehr nothwendig, für diefen Faferftoff Propaganda
zu machen; er ift bei uns bereits hinlänglich bekannt und feinem wahren Werthe
nach miift gebührend gefchätzt. Vielleicht ift es nicht überflüffig hier zu erwäh-
nen, dafs fich — was früher beftritten wurde — verfponnene und gewebte Jute
ganz gut bleichen läfst und nebft weifser Farbe einen fchönen Glanz annimmt,
fo dafs fie fich in diefer Beziehung fehr vortheilhaft vom Hanf unterfcheidet. —
Die Hauptmaffe der Jute kommt bekanntlich aus ihrer Heimat, nämlich aus
Indien und den umliegenden Infeln. In neuefter Zeit ift man beftrebt, die Cultur
der Jutepflanze in vielen anderen warmen Ländern einzuführen; die Ausftellung
führte uns z. B. Jute von Algier, Franzöfifch-Guyana, Mauritius u. f. w. vor.
Mit der Einführung des Chinagrafes (tfchu-ma) — der Baftfafer von
Böhmeria nivea (Urtica nivea) — in die europäifche Textilinduftrie geht es viel
langfamer als mit der Jute vorwärts. Es liegt diefs theils darin, dafs die aus
diefem Spinnftoffe verfertigten Gewebe gegen Seidengewebe fowohl in Glanz als
Dauerhaftigkeit nachftehen und im Preife doch viel höher als gleich feine Baum-
wollgewebe ftehen; theils in dem Umftande, dafs wir in Europa aus dem rohen
Baft der Böhmeria noch nicht jene feine, glänzende und langftapelige Fafer dar-
zuftellen vermögen, die aus China als folche und in Form von Grass-cloth ausge-
führt wird und bei uns als cotonifirtes Chinagras bezeichnet wird. Die Zukunft
des Chinagrafes für Europa fcheint von feinem Preife abzuhängen. Gelingt es,
durch maffenhaften Anbau der Pflanze die Rohfafer um Billiges in den Handel
zu fetzen und ohne grofse Koften daraus eine cotonifirte Fafer zu gewinnen, fo
mufs fie ihrer — im Vergleich mit der Baumwolle — vorzüglichen Eigenfchaften
halber fich ein grofses Terrain erobern. Der Anbau der Böhmeria nivea gewinnt
immer mehr Ausdehnung.
Aufser China und Japan brachten Oftindien, Nordamerika, Martinique,
Jamaika, Trinidad, Queensland, Mauritius, Reunion und Algier diefe Fafer zur
Ausftellung. Die Nachrichten über die Acclimatifation der Pflanze in den genann-
ten Territorien lauten allenthalben günftig.
Ein dem Chinagras fehr nahe verwandter, oft mit ihr verwechfelter Spinn-
ftoff ift die Ramiefafer, die Baftfafer von Böhmeria tenacissima (Urtica tenacissima)
welche im Süden und Often Afıens zu Haufe ift und dort feit alter Zeit gebaut
wird. Die Fafer ift gröber und im cotonifirten Zuftande kürzer und weniger glän-
zend als das Chinagras.
In England werden aus diefer Fafer fchöne, glänzende, weifse und gefärbte
Gewebe dargelftellt, die aber gegen Chinagras-Gewebe zurückftehen. Die Bedeu-
tung derRamieliegt nach unferem Dafürhalten nichtin der feinen, baumwollartigen
Fafer, die fich aus der Rohfafer abfcheiden läfst, fondern vielmehr in letzterer
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