Full text: Die Glasindustrie (Heft 89)

  
III, Das böhmifche Glas. 
Wir faffen mit diefem Worte als Gattungsbezeichnung das öfterreichifche 
Glas zufammen und haben ficherlich ein Recht dazu, denn das böhmifche Glas ift 
heute nicht nur quantitativ und qualitativ durchaus vorwiegend in Oefterreich, 
es hat auch inder Gefchichte desfelben ftets Art und Charakter beftimmt, Ehren 
und Anfehen in der Welt ihm errungen. 
Wir bezeichnen aber mit dem Ausdruck „böhmifches Glas“ nicht blos die 
Landesherkunft, fondern auch ein befonderes Genre, wie wir das bereits mit den 
Benennungen „venetianifches“ und „englifches Glas“ gethan haben. Bei der 
heute fo beliebten, alle gefunden Begriffe und Unterfchiede verwirrenden Nach- 
ahmung, bei der Sucht, alles, was der Andere leiftet, auch machen zu wollen, ift 
heute das böhmifche Glas freilich über feine Art hinausgegangen und ftellt fich 
uns in gar mannigfachen Kunft- und Decorationsweifen dar. Dennoch ift es nicht 
gar fchwer, fein eigentliches Wefen, das ihm Gemäfse herauszufinden. Wir wol- 
len es zunächft darauf hin, auf diefen Kern feines Wefens, betrachten, und dar- 
nach auch der anderen Decorationsweifen gedenken, welche man zum Theil 
wohl felbft höher anzufchlagen geneigt fein mag. Wir nehmen dabei wohl den 
abfoluten Standpunkt ein, doch wollen wir uns bemühen, allerfeits den gege- 
benen Verhältniffen gerecht zu werden. 
Wie der heutige Stand der böhmifchen Glasfabrikation ift, darüber kann 
nach dem, was auf der Weltausftellung zu fehen war, kein Zweifel fein. Das 
öfterreichifche Glas war quantitativ grofsartig aufgetreten, und was feine ver- 
fchiedenen künftlerifchen Seiten betrifft, fo konnte auch in diefer Beziehung 
fchwerlich irgend etwas vermifst werden. Die Mittel, fich ein allfeitiges und 
erfchöpfendes Urtheil zu bilden, waren ausreichend vorhanden. 
Das Verhältnifs, in welchem fich, wie bereits oben angegeben, das böh- 
mifche Glas zu dem englifchen ftellt, führt uns zur Erkenntnifs feines eigent- 
lichen Wefens und derjenigen Aufgaben, welche feiner Natur die gemäfseften 
find. Das böhmifche Glas ahmt. wie das englifche den Kryftall, den echten Berg 
kryftall nach; es ftrebt nach feiner vollen Durchfichtigkeit, Klarheit, Reinheit 
und Farblofigkeit. Diefes Ziel, die Aehnlichkeit mit dem Kryftall, erreicht es 
infofern eher, als ihm mit feinem Vorbilde eine Eigenfchaft des englifchen 
Glafes mangelt, nämlich diejenige, das Licht fo brillant in Farben zu brechen. 
Durch diefen Mangel verfagt fich von felber dem böhmifchen Glafe die ganze eine 
Hauptfeite des englifchen Kunftglafes, welche wir als die wefentlichfte desfelben 
oben vorangeftellt haben, der diamantirte Brillantfchliff, der die englifchen 
Gefäfse überdeckt. Diefe Decorationsweife auf das böhmifche Kryftallglas über- 
tragen wollen, ift von vornherein als ein verfehltes Verfahren zu erachten, weil 
man trotz aller Mühe und Anftrengung immer und nothwendig um des verfchie- 
denen Materials willen hinter den englifchen Muftern zurückbleiben wird, ja ihr 
eigentliches Wefen gar nicht treffen kann. Was die böhmifchen Fabrikanten von 
diefer Art an Tafelgeräth ausgeftellt hatten, bewies das fchlagend. Es war aber 
auch nicht viel; ein richtiges Gefühl, die Einficht der Unzulänglichkeit mag fie 
von Mehrerem abgehalten haben. Nur in einer Beziehung erfchien die Nach- 
ahmung der englifchen diamantirten Art nicht ohne Bedeutung, bei den Luftern 
nämlich ; davon werden wir weiter unten zu reden haben. 
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