Full text: A (1. Band)

  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
255 Alexander 1. von Rußland 
  
  
Alerander I., Baulowitich, von 1801— 1825 Kaifer und Selbft- 
herrſher von Rußland, ward geboren den 23. Dezember 1777. 
Einer der Enkel der großen Kaiſerin Katharina IT. und Sohn des 
na<maligen Kaiſers Paul von Rußland, aus deſſen Ehe mit der 
trefflichen Prinzeſſin Maria von Württemberg, gehört dieſer Monarch 
zu den hervorragendſten Fürſten der Neuzeit. Die Erziehung des 
Prinzen A. erfolgte unter befonderer Aufſicht der Großmutter durch 
einen durchaus geeigneten Mann, den braven und hochgebildeten 
DberjtenLaharpe. Diefer freifinnige Schweizer öffnete das Herz feines 
Zöglings den Grundſäßen eines aufgeklärten Zeitalters; Milde und 
Menſchenfreundlichkeit gehörten zu den vornehmſten Tugenden des 
früh herangereiften Fürſten. Jun ſeinen ſpäteren Lebensjahren trat 
freilich an die Stelle der idealen Richtung der Jugend immer mehr 
eine Neigung zu religiöſer Schwärmerei, welche der - chemaligen 
Unbefangenheit großen Abbruch that; — unter allen Verhältniſſen 
eines bewegten Lebens beſecelte und leitete jedoch in exſter Linie ein 
Gedanke den auch perſönlich höchſt liebenswürdigen Monarchen: der 
nämlich, ſeine in den Banden der Unwiſſenheit und Barbarei <mach- 
tenden Unterthanen zu beglüden. 
  
— 
Nr, 235. Alexander L., Kaiſer von Rußlaud (geb. 1777, geſt. 1825), 
Als A. nach dem jähen Tode ſeines Vaters am 24. März 1801 zur 
Regierung gelangte, zeigten ſich bald die wohlthätigen Folgen der vor- 
züglichen Erziehung, welche weſentlich darauf gerichtet war, das Gemüth 
des jungen Zaren frei zu erhalten von den Vorurtheilen, die in der 
Nähe der Throne, vornehmlich in einem autokratiſchen Staate, ſo üppig 
wuchern. A. wußte, was ſeinem großen, aber unentwi>elten Reiche noth 
that. Mit umſichtigem Eifer begann er eine Reihe höchſt wohlthätiger 
Reformen, indem er eine beſſere Verwaltung und Rechtspflege, ſowie 
eine mildere Handhabung derſelben ins Leben rief, auf Ordnung inden 
Finanzen achtete, Handel und Gewerbe begünſtigte, Straßen und Ka- 
näle erbauen und das Volkserziehungs8weſen von Grund aus neu orga- 
niſiren ließ. Schon zu Anfang diefes Jahrhunderts erfolgte die Auf- 
hebung der Leibeigenſchaft in Ehſtland, Livland und Kurland. War 
Peter des Großen und Katharina's Streben dahin gegangen, die höhe- 
ren Stände und den auf ſeinen Gütern in Roheit verſunkenen Adel 
einer beſſern Bildung entgegen zu führen, jo bemühte fich A., das 
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Aerander I. von Rußland 256 
  
  
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Volk in ſeiner Geſammtheit zu einer höheren Kulturſtufe zu erheben, 
Er war überzeugt, daß dieſes Ziel nur mittels einer durchgreifenden 
Verbeſſerung des Unterrichts zu erreichen ſei. Es wurden deshalb unter 
ihm die Univerſitäten von Dorpat, Kaſan, Charkow, Moskau, Wilna, 
Warſchau und Petersburg theils geſtiftet, theils reorganiſirt, über 
200 Lehrerſeminarien und Gymnaſien und mehr als 2000 Volks- 
ſchulen errihtet. Das wiſſenſchaftliche Leben und Streben Rußlands 
datirt eigentlich erſt von der Regierungszeit dieſes fürſorglichen Mon- 
archen. Alexander zeigte ſich nicht karg, wenn ſih Gelegenheit bot, 
werthvolle Sammlungen und Bibliotheken zu erwerben, er begin 
ſtigte die Erweiterung des geographiſchen Wiſſens, unterſtützte meh: 
rere unter ihm unternommene Reiſen um die Welt, ließ 1817 eine 
Geſandtſchaft na<h Perſien, Sendungen nad Khiwa und Bokharg 
abgehen und pflegte mit weitausſchauendem Blicke die guten Be 
ziehungen Rußlands zu den Vereinigten Staaten von Nordamerika 
ſowie zu Braſilien; er begünſtigte die ruſſiſchen Niederlaſſungen auf 
der Weſtküſte des Neuen Kontinentes und bot die Hand zu Handels: 
und Schiffahrtsverträgen mit der Türkei u. a. Staaten. Bei ſolcher 
Pflege aller Intereſſen des Reiches mußte das Zarenreich bald aud 
regeren Antheil am Welthandel nehmen, und die erhöhte Empfäng- 
lichkeit der Ruſſen für die Segnungen dex Kultur we>te in der trägen 
Maſſe das Gefühl der Zuſammengehörigkeit, der Vaterlandsliebe. 
Die Aufgabe, die fi Alexander geſtellt, blieb bei dex tiefen Ber: 
ſunkenheit und den ſo verſchiedenartigen Bildungsgraden der Völker 
Rußlands, vornehmlich aber wegen der herrſchenden Leibeigenſchaſts: 
verhältniſſe, immerhin eine überaus ſchwierige und erforderte zu 
ihrer Löſung einen längeren Zeitraum ; allein ein feſter Wille würde 
fie ſicher gelöſt haben, hätten nicht die dur<h Bonaparte's welter: 
\{hütternde Eroberungszüge herbeigeführten ungünſtigen Zeitverhält: 
niſſe, ſowie der Widerſtand des Adels den Abſichten des Zaren auf 
dem Wege des Fortſchrittes ganz außerordentliche Hinderniſſe ent: 
gegengeſtellt, und hätte niht vor Allem ſein zu früher Tod ſ{ließli 
die Erreichung jenes Zieles unmöglich gemacht. 
Die bisherigen guten Beziehungen zu Frankreich trübten fic nad 
der Erwählung Napoleon's zum Kaiſer immer mehr, vornehmlich als 
Letterer Hannover beſeßte und die Selbſtändigkeit Hollands vernich- 
tete. Infolge deffen jchloß fich Nußland der Koalition von 1805 an, 
welcher leider fein Freund und Nachbar, der unentjchloffene Friedrid) 
Wilhelm II, troß aller Bemühungen nicht beitrat. Alexander begab 
ſi ſelbſt über Berlin zum Heere der Verbündeten, welches aber bei 
Auſterliß dem Feldherrntalente Napoleon's unterlag. Als Preußen 
im folgenden Jahre fich endlih gegen Napoleon erklärte, fand es in 
Alexander einen Verbündeten gégen die franzöſiſhe Uebermacht. Was 
vereinigten Anſtrengungen noch vor einem Jahre wohl hätte gelingen 
fünnen, mißlang dem zu ſpäten Aufrafſen. Die ruſſiſchen Armeen 
waren noch weit entfernt, als die für die preußiſchen Waffen ſo ver: 
hängnißvollen Schlachten von Jena und Auerſtädt geliefert wurden. 
Nun konnten weder die vereinigten Anſtrengungen der Preußen und 
Ruſſen bei Eylau, no< die verzweifelte Tapferkeit der Ruſſen bei 
Pultusk und Friedland die Zertrümmerung de3 Staates Friedrid) 
des Großen abwenden. Rußland kam im Frieden zu Tilſit (7. Juli 
1807) noh leidlih weg, und wenn es ſich auch durch den Beitritt 
zum napoleoniſchen Kontinentalſyſtem in eine überaus fatale Stel: 
lung brachte, ja bald nachher fich in Krieg mit deſſen Verbündeten, 
Schweden, verwi>elt ſah, ſo endigte dieſer doh zu Gunſten des Zaren- 
reiches, dem nach dem Frieden von Friedrihshamm das Fürſtenthum 
Finnland einverleibt werden konnte. Uebler ging eine Unterneh- 
mung zur See aus, indem die Engländer eine zur Unterjtügung 
Frankreichs ausgelauſene ruſſiſche Flotte wegnahmen. 
Bei alledem ſchien die Freundſchaft zwiſchen dem Beherrſcher des 
Oſtens, Alexander, und dem Gebieter des Weſtens von Europ, 
Napoleon, auf die Dauer geſchloſſen zu ſein, und die perſönlichen 
Beſprechungen beider Kaiſer während des glänzenden Fürſtentages 
zu Erfurt (im Oktober 1808) beſtimmten für die nächſtfolgende Zeit 
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