Full text: A (1. Band)

  
  
  
313 Alpen r$ 
  
  
Alpen 
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und zwar dieſes Alles im Intereſſe der Milchwirthſchaft, die den 
hauptſächlichſten Ertrag der Alpen liefert. Der Alpenwirth muß 
Ställe anlegen, in denen das Vieh bei Nacht und bei ungünſtiger 
Witterung Schuß und Obdach findet; er muß Heuvorräthe für die 
Zeiten unerwarteten Schneefalles einbringen (Nr. 296) und die 
Milchwirthſchaft verbeſſern dur< Errichtung von größeren Senne- 
reien, zur Erſparung von Holz, Arbeit, ſowie zur Erzielung einer 
beſſeren Rente. Jn der Schweiz, die im Verhältniß zu ihrer Größe 
mehr Alpen als ein anderes Land beſikt, hat man ſich die Pflege der 
Alpenwirthſchaft beſonders angelegen ſein laſſen und nicht nur alpen- 
wirthſchaftlihe Vereine gegründet, ſondern zum erſten Male eine 
Alpenftatiftit veröffentlicht. („Die Alpenwirthichaft der Schweiz.“ 
Herausgegeben vom Statijtiichen Bureau. Bern 1868.) 
  
  
Henziehen im Winter. 
Nr. 296, 
Unter Alpen im wirthſchaftlichen Sinne verſteht man dort Gebirgs- 
gegenden, die ausſließli< zur Weide oder Sömmerung des Viehs be- 
nußt werden. Ausgeſchloſſen ſind Thäler und Voralpen. Der Kapital- 
werth ſämmtlicher Schweizer Alpen beträgt (1864) über 77 Millio- 
nen Franken; der Bergzins , welcher für die Benußung dieſer Alpen 
an Gemeinden u. \. w. bezahlt wird, beträgt 3,363,000 Franken. 
Im Jahre 1864 weideten 153,320 Kühe auf den Alpen der Schweiz, 
die meiſten mit 28,890 auf den Graubündner, mit 22,815 auf den 
Berner Alpen, die dur<ſcnittli<h über 4 Maß Milch per Tag und 
per Kuh lieferten und einen Nettoertrag von 8,182,788 Franken 
einbrachten. Weſentlich erhöht wird dieſer Ertrag noh durch die 
Verarbeitung der Milch zu Butter, Käſe und Milchzu>er. Der 
Geſammtertrag der Schweizer Alpen belief fi 1864 auf fait 
11 Millionen Franken, wobei die Nebennußungen für Wildheu, 
Streu, für die eingeſammelten Kräuter und Enzianwurzeln, für den 
bedeutenden Verkauf von Molken (Schotten) an die Tauſende von 
Kurgäften, die ſi< im Sommer in den Alpen aufhalten, noh niht 
mit eingerechnet ſind. Die Viehzucht iſt alfo der weſentlichſte Theil 
der Alpenwirthſchaft, bedingt durch die zahlreichen Matten mit ge- 
würzhaften Kräutern und Gräſern, die zum Heumachen im Ganzen 
ſih wenig eignen und deshalb im Sommer abgeweidet werden 
müſſen. Wenn die paſſende Zeit gekommen iſt, dann findet die „Auf- 
fahrt “ der Herde ſtatt, an deren Spike die Leitkuh mit ihrer 
Glo>e ſchreitet. Die Hut beſorgt der „Senne“, der auf der Alp ſeine 
„Sennhütte“ (Taf. VIL, Nr. 1) wieder aufſucht, in der er den ganzen 
Sommer über bleibt, um das Melkgeſchäft zu beſorgen, Butter und 
Käſe zu machen. Auch Ziegen und Schafe hält man in den Alpen, 
da ſie in höheren, ſteileren Revieren weiden können, als die Kühe. 
  
In den öſtlichen Alpen, in Tirol, Steiermark, tritt an die Stelle des 
Sennen die „Schweigerin“, die allerdings nicht immer den lieblichen 
Bildern entjpricht, welche Poeten und Touriſten ſo gern ſitz von ihr 
machen. Neben der Viehzucht treiben die Alpenbewohner noch viele 
andere Beſchäftigungen. Der arme Savoyard wandert mit Leierkaſten 
und Murmelthier in dieWelt hinaus; mit Teppichen, Handſchuhen 
und Lederwaaren ziehen Tauſende von Tirolern hauſirend umher. 
In vielen Theilen wird das harzig duftende Holz der Arve zu künſt- 
lichen Schnibereien verarbeitet, und mehr als ein tüchtiger Bildhauer 
(ſo Mahlknecht und Noer) iſt bereits aus jenen abgelegenen Gegen- 
den hervorgegangen. Wo Wald die Alpen det, tritt das urwüchſige 
Geſchlecht der Holzknehte (Holzfäller Nr. 287) und Flößer auf, 
die ihr gefahrvolles Gewerbe den ganzen Sommer über betreiben. 
Die Alpen mit ihren unübertrefflichen Naturſchönheiten, 
mit ihren eiſigen Gipfeln, ihren grünen Matten, ſtillen 
Seen, weiten Gletſchern, mit ihren Thälern und ihrer ge- 
funden Luft find das vornehmſte Reiſeziel aller Euro- 
päer geworden, und nah Tauſenden zählt alljährlich die 
Zahl der Touriſten (Nr. 276) und Kurgäſte, die ihnen zu- 
__ eilen. Wer in Ragaß, Pfäfers, Interlaken, Sihl und den 
£ ; zahlreichen übrigen Badeorten der Alpen niht Heilung 
ſucht, wer niht Gemſen jagen oder nur Berge erklimmen 
will, der wandert als Botaniker, als Geograph oder nimmt 
als Maler die herrlichen Landſchaſten auf, die ſhon fern 
vom Hochgebirge das Auge des Bewohners der Ebene ent- 
zücken. Jetzt ſind die Alpen von allen Seiten leiht zugänglich; 
Eiſenbahnen führen bis zum Fuße der hohen Berge, ja die 
Lokomotive rollt über den Mont Cenis, den Brenner, den 
Semmering; auf den Seen fahren Dampfer, über die Päſſe 
leiten uns ſtatt mühſamer Saumwege, wie ſie z. B. die Via 
mala (Taf. VI, Nr. 5) im obern Rheinthale früher zeigte, 
prächtige Landſtraßen , und auch für Unterkunft iſt geſorgt, 
freilich oft ſehr theuer, denn auf dem Rigi oder dex Grimſel 
befinden ſi Hotels, gleich jenen der großen Städte, doch mit 
hohen Preiſen; das Reiſen in den Alpen iſ dadurch bequem 
und faſt ohne Entbehrungen bis zur Schneegrenze möglich 
geworden. Noch giebt e8 aber Streden in den Alpen, die jo unbefannt 
ſind wie das Innere Wfrifa’3 und die feines Menjchen Fuß bisher be- 
treten, namentlich in den Weſtalpen. Die Erforſchung des Ge- 
birges in wiſſenſchaftlicher Beziehung ſelbſt iſt auch ſehr neuen Da- 
tums, und noch jebt finden nah demſelben förmliche Entde>ungsreiſen 
ſtatt. Noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts konnte der Geograph 
Hager von „Drachen“ erzählen, die auf dem Pilatus hauſen ſollten; 
der St. Gotthardt galt lange für den höchſten Berg. Der Mont- 
blanc wurde 1786 von Dr. Paccard zuerſt beſtiegen, thm folgte im 
Jahre darauf der berühmte Sauſſure, der unſere Kenntniß der Alpen 
weſentlich erweiterte. Ehe Napoleon ſeine Alpenſtraßen bauen ließ, 
gab es nur zwei fahrbare Straßen über das Hochgebirge , jene über 
den Semmering und über den Brenner. An den andern Päſſen 
mußten die Wagen aus einander genommen und jtüdmweije über die 
Berge geſchafft werden. Wenn es an den Hauptpäſſen ſo ausſah, da 
kann man ſi vorſtellen, wie wenig die Menſchen geneigt waren, es 
mit den Schredniffen gleticherumlagerter Bergriefen aufzunehmen. 
Die höchſte Spie des Monte Roſa wurde erſt 1855 erklommen. 
Bayer, v. Sonklar, die Gebrüder Schlagintweit, Pitſchner , Mayer 
und Studer leiſteten dann Vorzügliches, und jebt liegen ausgezeichnete 
Karten der ganzen Alpen vor. 
Auch eigene Alpenklubs zur Erforſchung des Gebirges wurden 
begründet. Der erſte 1858 in England, wo nur Mitglieder auf- 
genommen werden, die bereits einen 1200 Meter hohen Berg be- 
ſtiegen haben, dann in der Schweiz, in Oeſterreich (dur v. Ruthner) 
und in Italien. Heut zu Tage find nur noch wenige bedeutende 
Gipfel unerftiegen, und alljährlich wird das noch unerforſchte Gebiet 
der Alpen Heiner. (Bergbefteigung |. Nr. 281.) \ 
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