104 Guftav Semrad und Johann Sterbenz.
Wir fagten früher, dafs bei den neuen Gewehrmodellen auch auf eine die
bisher ufuellen Diftanzen weit überragende Tragweite, und in Verbindung
mit diefem Poftulate auf eine ausgiebigere Präcifion und Flugbahn-Rafanz
gefehen werde.
Bei der Beleuchtung diefer beiden Punkte brauchen wir nur auf die Lehren
der jüngften Kriegsgefchichte hinzuweifen. Die immenfen Verlufte, welche die
Preufsen durch das weittragende Chaffepotgewehr auf Entfernungen erlitten,
wo fie von dem in diefer Hinficht fehr untergeordneten Zündnadel-Gewehre noch
gar keinen Gebrauch machen konnten, haben conftatirt, dafs ein erfolgreiches
Schiefsen mit dem Infanteriegewehre auf weite Diftanzen im Bereiche der Mög-
lichkeit liegt; diefe bitteren Erfahrungen haben auch die preufsifche Kriegsver-
waltung dazu vermocht, das neue fogenannte Maufer-Syftem in Erkenntnifs
des vorausfichtlichen Bedürfniffes für eine folche Tragweite einzurichten , wie
fie beim Chaffepotgewehre im Kriege nur ausnahmsweife vorkam.
Verbürgten Nachrichten zu Folge foll das neue preufsifche Gewehr
eine Tragweite bis 1600 Meter = 2100 Schritt befitzen.
Da nun eine mit fo weit fchiefsenden Gewehren ausgerüftete Infanterie
das Feuergefecht bis an die Grenze diefer Diftanz gegen jedes Erfolg verfpre-
chende Ziel unzweifelhaft aufnehmen wird, und man fich dem gegenüber nicht
unthätig verhalten kann, fo geht daraus die Nothwendigkeit hervor, die Portee
der Gewehre bis zu jener Maximalentfernung zu erweitern, wo die Waffenwirkung
wieder gleichgeftellt erfcheint.
Wenden wir mit Berückfichtigung der von der Weltausftellung und durch
das Vorgehen fremder Mächte gebotenen Lehren den Blick den Bewaffnungs-
verhältniffen der öfterreichifchen Fufstruppen zu, fo gewinnen wir die tröftliche
Wahrnehmung, dafs diefelben in dem Werndlgewehre eine Waffe befitzen, welche
mit den Gewehren anderer Syfteme, was kriegmäfsige Einfachheit und Dauer-
haftigkeit betrifft, mindeften auf gleicher Stufe fteht. Wir fehen aber auch,
dafs die Heeresleitung die im Laufe diefer Zeit als nöthig erkannten, und aus-
führbaren Verbefferungen an dem befagten Gewehre ins Werk fetzen läfst.
So haben wir in der Expofition der öfterreichifchen Waffenfabriks-Gefell-
fchaft bereits bedeutend erleichterte und mit werthvollen Ver-
einfachungen am Verfchlufsmechanismus verfehene Gewehre gefun-
den; das bisherige fchwere Säbelbajonnet, welches zu vielen Klagen Anlafs
gegeben, hat einem leichteren Platz gemacht, und auch auf die Erhöhung
der balliftifchen Leiftungsfähigkeit der Waffe hat das technifche und
adminiftrative Militärcomite in fteter Beachtung der bezüglichen Arbeiten des
Auslandes fein Augenmerk gerichtet.
Durch die Adoptirung einer neuen Patrone, an deren zweckentfprechender
Conftrudtion man unausgefetzt und beharrlich arbeitet, wird das Werndlgewehr
auch in Bezug der Tragweite und Flugbahn-Rafanz den beften Modellen
der Jetztzeit gleich gebracht werden.
Wenn wir in Hinficht auf die Bewaffnung der öfterreichifchen Fufstruppen
noch einen Wunfch ausfprechen dürften, fo wäre es der, dafs die erforderlichen
Geldmittel in jener kürzeften Zeit befchafft werden möchten, um die Ausrüftung
der gefammten Infanterie mit dem neuen Gewehre fobald als nur,.möglich zu-
Thatfache werden zu laffen, damit die fowohl die ftrategifche als tadtifche Ver-
wendung der Truppen ungünftig beeinfluffende Doppelbewaffnung (Werndl und
Wänzl) endlich aufhöre, und man nicht das Schaufpiel erlebe, dafs Nachbarftaaten,
welche an ihre Neubewaffnung fechs Jahre fpäter als wir fchritten, mit Beihilfe
ınferer Fabriken früher damit zu Stande kommen, als wir felbtt.
Der öfterreichifche Revolver ift vorzüglich zu nennen; in diefer Anficht
beftärkte uns auch die Ausftellung, wenngleich diefelbe manche technifche Ver
feinerung, welche dem Gaffer’fchen Revolver abgeht, z. B. in Bezug der Patronen-
extrahirung aufwies. Die auf eine höhere Stufe mechanifcher Vollkommenheit