Alexander Friedmann.
In unferen Mittelfchulen wird nicht ein Jota übers Marinewefen vor-
getragen, felbft an unferen technifchen Hochfchulen wird dem Erfolge nach fo gut
I wie Nichts darüber gelehrt. Denn, obgleich alle einfchlägigen Disciplinen, wie
ln) Mafchinenlehre , Eifenconftrudtions-Lehre , Baukunft, Geodäfie etc. etc., docirt
und deren Anwendung und Bedeutung für die verfchiedenartigften Induftrien
demonftrirt werden, wird gerade des Seewefens kaum Erwähnung gethan;; und da
nur die wenigften der Schüler das Meer und die Thätigkeit in Seehäfen aus eigener
I Anfchauung kennen, fo deuten fie diefs Uebergehen des Marinewefens als Fo olge
Ü entweder der Unwichtigkeit oder der abfoluten Fremdartigkeit desfelben.
So fehlt dem Seewefen bei uns, was der Entwicklung des Eifenbahn-
wefens fo fehr zu Gute kam, zu einer Zeit fchon, wo ein Eifenbahn-Tunnel
für die Meiften ebenfo wenig durch eigenen Augenfchein gekannt war, wie heute
ein Seehafen — das Intereffe für die Sache. Die Theilnahme für jede Angelegenhei
beruht immer auf einigen Kenntniffen von den Zwecken und Bedingungen des
Beftandes diefer Angelegenheit, Kenntniffe, welche, wenn auch urfprünglich unbe-
ftimmt, doch oft den Keim bilden für weiteres V erfolgen des Gegenftandes und
Il) fogar für perfönliches Eingreifen zu Gunften delle.
Eine allgemeinere Kenntnifs des Seewefens würde manch’ irrige Anfchau-
ungen berichtigen oder deren fchädigende Geltendmachung erfchweren, das
Intereife für deffen Entwicklung reger halten und mit der Zeit zur Folge haben, dafs
Capitalien für Seezwecke en aufzubringen wären, und unfere Seeküfte,
welche durch die Eifenbahn von Wien nur noch 14 Stunden entfernt it, einem
gröfseren Verkehre dienen würde, als bislang der Fall war.
Aus diefen Gründen wird in dem nachftehenden Rapporte das Seewefer
in der Weife behandelt, dafs auch der Nicht-Seemann daran Intereffe finden
könne, und neben Befchreibung und Zeichnung Alles deffen, wasin der Gruppe ey u
der Weltausftellung für den Fachmann der Erinnerung werth ift, auch verfucht,
die Erkenntnifs der Wichtigkeit des Seewefens Be in Oefterreich in
weitere Kreife zu bringen.
Defshalb werden auch zu Anfang einer jeden Abtheilung diefes Berichtes
erft immer diejenigen Grundgedanken und Gefchehniffe —fo weit die Ausftellung
der Gruppe XVH hiezu Anlafs gibt — dargelegt, welche die entfprechenden
Beftrebungen der Fachleute kennzeichnen, und Abbildungen auch von iolchen
ausgeftellten Objecten des Seewefens gegeben, welche wohl für den Specialiften
nichts Neues bieten, dem Nicht-Fachmann aberals Typus der Schöpfungen im
betreffenden Gebiete des Seewefens gelten können und das Verftändnifs d
a erzielten oder erwünfchten Fortfchrittes erleichtern.
Il) Ueberficht.
Il Wer in der Weltausftellung den Reichthum und die ungeheuere Aus-
dehnung der von dem kleinen England beherrfchten Colonien in ihren Produdten
und Karten bewundert und die Entwicklung diefer Herrfchaft und ihre Con-
fequenzen für alle Welt überdacht hat, braucht in diefem Berichte nicht erft eine
Erklärung über die Wichtigkeit des Seewefens, felbft wenn vergeffen würde, dafs
auch die mächtige Republik der Vereinigten Staaten von Nordamerika nur eine
Tochter diefes felben England ift.
| Wem aber folche Erfolge zu grofs find, als dafs er fiezum Ausgangspunkte
IK) ıchmen mag für die Frage, ar das Seewefen dem eigenen Lande, das geogra-
I) bhifch ganz anders geftaltet ift, von Wichtigkeit fei, der wird doch Er nüchterne
(| Thatfache nicht verkennen, dafs der Seeverkehr einem Induftrieftaate den Handel
mit allen culturfähigen Völkern der Erde ermöglicht.
| j In der That werden dem Staate, welcher den Seeverkehr zu nutzen
weifs, die Bezugsquellen für die Rohmaterialien vervielfältigt und die Abfatz-