Marinewefen. 1 >
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I. B. Concurrenzfähigkeit verfchiedener Schiffstypen.
Was zunächft die Concurrenzfrage zwifchen Dampf- und Segelfchiffen
anbelangt, fo ift gegenwärtig für den Perfonenverkehr das Dampffchiff faft
ausfchliefslich in Verwendung. Diefs ift heute wohl felbftverftändlich, aber noch
gar nicht feit fo langer Zeit entfchieden. Im Jahre 1853 z. B. wurde den Dampf-
fchiffen der Poftdienft von England nach Auftralien abgenommen und den Segel-
fchiffen übertragen, weil diefe pünktlicher und regelmäfsiger einliefen als die
Dampfer.
Freilich waren damals die Dampffchiffe noch unvollkommen, fie ver-
brauchten relativ enorme Quantitäten von Brennftoff, waren dadurch gezwungen,
während der Reife oft Station zu machen, um frifche Kohle einzufchiffen, fanden
mitunter keine, weil die Kohlenzufuhr noch nicht gut organifirt war, und verloren
viel Zeit, während gerade die Segelfchiffe durch dievon den Amerikanern einge-
führten Klipper und die damals zuerft erfolgte Anwendung wiffenfchaftlicher
Principien auf ihre Formgebung und Ausrüftung fo vorgefchritten waren, dafs fie
auf langen Fahrten bezüglich der Pünktlichkeit und fogar durchfchnittlichen Schnel-
ligkeit mit den damaligen Dampfern erfolgreich concurriren konnten. Seither ift
das Verhältnifs natürlich bedeutend geändert; die Gefchwindigkeit der Dampfer
ift eine ungleich gröfsere und regelmäfsigere und das Einhalten der Fahrzeıt
ein viel beftimmteres.
Doch ift in Bezug auf Waarenverkehr die Entfcheidung zwifchen
Segelfchiffen und Dampffchiffen noch bei Weitem nicht beftimmt, und gerade auf
fehr langen Strecken, wo die Dampfer durch die Nothwendigkeit, Kohlen-
vorrath für ganze Reifen an Bord zu nehmen, viel Laderaum verlieren, denKohlen-
verbrauch möglichft niedrig halten müffen und die Gefchwindigkeit nicht weit
treiben können, find die Segelfchiffe im Vortheil, umfomehr, als die Fort-
fchritte, welche in der Navigation gemacht wurden, den Segelfchiffen mehr zu
Statten kommen als den Dampfern.
Die Segelfahrer haben jetzt ganz genaue Karten und Aufzeichnungen, durch
welche fie die conftanten Winde, welche zu einer beftimmten Zeit in einer
beflimmten Gegend nach einer beftimmten Richtung wehen, benutzen und ihren
Curs demgemäfs einrichten können.
Wıe weit die Vollkommenheit in diefer Beziehung gelangt ift, kann man
jedes Jahr bei der Einbringung der neuen Thee-Ernte erkennen, um welche Zeit
alljährlich ein bedeutender Preis für das Segelfchiff ausgefchrieben ift, welches
den erften neuen Thee durch die rafchefte Fahrt nach England bringt. Die wett-
fahrenden Segelfchiffe verlaffen alle an einem Tage gleichzeitig den chinefifchen
Hafen, kommen meift nach Verlauf der erften Nacht gegenfeitig aufser Sicht und
laufen durchfchnittlich nach 82 Tagen mit folcher Regelmäfsigkeit an der Themfe-
mündung ein, dafs gewöhnlich zwifchen dem Schiffe des erften und dem des
zweiten Preifes ein Intervall von nur wenigen Stunden fich ergibt.
Das Rationellfte fcheint allerdings, dafs, fo gut alle Dampfer Hilfsfegel-
Werk haben, um die günftigen Winde zu benützen, die Segelfchiffe kleine Aus-
hilfsmafchinen haben, welche fie bei Windftille, beim Einlaufen in die Häfen etc.
in Anwendung bringen können, und deren Dampfkeffel ihnen auch beim Aus- und
Einladen für die Krahne und fonftigen Vorrichtungen den Dampf liefern.
Wenn bei Windftille ein Segelfchiff durch feine Aushilfsmafchine 5 bis 6
Seemeilen in der Stunde vorwärts gebracht wird, fo ift diefs vollkommen genügend,
und biefür werden die Dimenfionen der Mafchine und der Kohlenräume fo klein,
dafs deren Unterbringung keinerlei Schwierigkeiten bietet. So würde ein Segel-
fchiff' von der Gröfse des fpäter befchriebenen Dampfers „Pollux* von 4000