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Das bürgerliche Wohnhaus. 1.
hängt auch hier in diefer Nothwendigkeit mit der ganzen bäuerlichen Wirth-
fchaft zufammen.
Allmälig drängt das gewerbliche Leben in die Städte eine ungeheuere
Bevölkerung, es fteigern fich die Grund- und Bodenpreife, und wie mit diefer
Bewegung, Zeichen der allgemeinen Entwicklung, auch die Staatsausgaben
fich fteigern, erhöhen fich natürlich auch die Bedürfniffe dafür, die Steuern.
Und Grundwerth und Steuern wirken neben den fonftigen wirthfchaftlichen
Veränderungen des Lebens auf die Veränderung des Wohnhaufes und die
Geftaltung der bürgerlichen Haushaltung. Grofse Vorrathsräume find über-
Nüffig geworden; die Keller und Bodenräume fchrumpfen ein und werden zu
einfachen Bewahrungsräumen für die Gegenftände des täglichen Bedarfs. Es
gibt keinen gewerblichen Betrieb mehr in der einzelnen Haushaltung, denn
die Organifation der Induftrie erfetzt Alles, was fie einft felbft zu erzeugen
nöthig hatte; Märkte und Verkaufsplätze find jeden Augenblick bereit, aller
Nachfrage zu genügen.
Unwirthfchaftlichkeit wäre heute, was unferen Grofseltern noch höchfte
Tugend und Sorge war. Nicht das Haus, die Wohnung allein wird jetzt die
überaus befchränkte Sorge der Haushaltung und an die Stelle der Häuslichkeit
tritt die Sorge der Wohnlichkeit.
Die Räume, die wir dafür benützen, werden immer geringer, weil eine
grofse Wohnung nur mehr der grofsen Wohlhabenheit zugänglich oder als ein
Zeichen desLuxus und der Verfchwendung zum Ausdrucke kommt. Und je grölser
die Beweglichkeit des jetzigen bürgerlichen Lebens wird und gewiffe Stände, wie
die Summe des Beamtenftandes, des Militärs und felbft zahlreiche bürgerliche
Wirthfchaften beherrfcht, defto mehr wird der Bedarf, den die Wohnung repräfentirt
zur Verfchwendung und zum Luxus hingedrängt, wenn fie dasNothwendige über-
fchreitet. Die Wohnung wird aber erft ein fertiger Begriff mit der Summe der Einrich-
tungsgegenftände und diefe erft wird zum Ausdrucke der Unwirthfchaftlichkeitin den
modernen Wohnungsverhältniffen. Wo an Stelle des Haufes die blos gemiethete
Wohnung tritt, da ift die Unficherheit der Erhaltung derfelben der ftets gefürchtete
Gaft. Erhöhung der Miethpreife und einfache Kündigung verfchieben, wie uns die
Statiftik der gröfseren und zahlreichen kleineren Städte von faft ganz Europa zeigt,
in einem einzigen Jahre bei Taufenden von Familien vielfach oft die Verhältniffe.
Ueberfiedlung und Delogirung aber find durch fich felbft wie durch Befchädigungen
und Verlufte anfehnliche Capitalsvergeudungen. Aber auch dagegen kämpft der
praktifche Geift unferer Zeit rüftig an. Man baut in Paris und anderen Städten, foweit
es die Sicherheit des Baues geftattet, mit hohlen Wänden und erfpart Kiften und
Kaften, das koftbarfte und für den Transport unbequemfte Einrichtungsftück. In
Frankreich wie in Deutfchland ift die Möbelvermiethung für ganze Wohnungen zu
einem Gefchäfte geworden und befreit die Haushaltung, die nicht im eigenen
Haufe gefichert ift, von unendlicher Sorge und grofsen Koften. Es ift ganz wider-
fpruchsvoll, dafs wir bei der fonftigen Beweglichkeit, Schnelligkeit und Rafchheit
unferes Lebens in den einzelnen Punkten unferer fogenannten Häuslichkeit die
koftfpieligften Schwerfälligkeiten noch behaupten. Die Aefthetik unferer Tage
mit ihrer glücklichen, aber oft träumerifchen Kunftforderung, die fie fo allgemein
an dasLeben ttellt, hat einen fehr befchränkten wirklichen Werth, das heifst einen
Werth eben für die „oberen Zehntaufend“, denen für das Leben überhaupt glück-
licher gebettet ift als der grofsen Menge. Hier mag das Wort „Kunft“* im vollften
Mafse zur Geltung kommen und was der Patricier Italiens und Deutfchlands im
Mittelalter im eigenen Wohnhaufe gefchaffen, das mag der glückliche Renten.
befitzer von Hunderttaufenden unferer Tage leiften in feinem Wohnhaufe, in und
an feinem Zinshaufe,, ja felbft blos an feiner Wohnung. Für die übrige grofse
Menge des Bürgerthums entfcheidet Einfachheit und Zweckmäfsigkeit und die
unferem Sinne entfprechende Billigkeit und Nützlichkeit der Wohnung und ihrer
Einrichtung.