10 Dr. Carl Th. Richter.
wenig bis jetzt geändert. Während der Adel und Bürgerftand in ganz Europa
kosmopolitifch wird, einzelne Gefammtbeziehungen des Standes für alle euro-
päifchen Staaten gleich ausbildet, im Staatsbürgerthum feine Macht und Bedeutung
findet, vertritt der Bauer allein noch das nationale Leben und nationales Wefen,
Was dem modernen Bürger heute fremd und unverftändlich im Leben des
Bauernftandes ift, das find alles Refte feiner eigenen Gefchichte, feiner Entwick-
lung und nationalen Geftaltung.
Das war es, was im Jahre 1807 die Parifer Weltausftellung zum erften
Male zeigen wollte. Verfprach das Napoleonifche Regiment durch mehr als ein
Jahrzehent dem Bauern- und Arbeiterftand eine Neugeftaltung ihrer Lebensver-
hältniffe, fo wollte die Parifer Weltausftellung in der Darftellung der Bauern-
coftume und nationaler Gruppen ein ethnographifches und culturgefchichtliches
Bild der Lage, des Lebens nnd der Befchäftigung der bäuerlichen Bevölkerung
der verfchiedenen Länder geben. Es war kein Wunder, dafs zahlreiche Befucher
der Ausftellung nicht wufsten, was fie mit diefen nationalen Gruppen anfangen
follten. Auch war die Frage ganz berechtigt, warum denn eben nur der Bauern-
ftand in folcher Weife zur Darftellung gelange. Und doch gaben jene erften Ver-
fuche, in das innerfte nationale Leben einzudringen, eine aufserordentliche An-
regung. Man hat feither erkannt, dafs in den Coftumen und in den Geräthen der
ländlichen Bevölkerung zahlreiche Traditionen aufbewahrt und erhalten find,
welche oft weit zurückführen in die antike Kunft und in dasnaive, zierliche Schaffen
des Menfchen, wie es nur von der Natur und ihren Vorbildern angeregt und
geleitet wurde. Schon auf der Parifer Weltausftellung beobachtete der Kenner
in den Coftumen der fchwedifchen und norwegifchen Bauersleute, ebenfo wie in
den Stickereien der Stämme und Völker der Donauländer, eine Zierlichkeit und
Harmonie zwifchen Mufter, Farbe und Stoff, dafs leicht die Folgerung daraus zu
ziehen war, wie vielaus diefen Geftalten, aus diefen Arbeiten am häuslichen
Herde eines Bauernhofes ebenfo für das moderne Gewerbe und die moderne
Induftrie zu lernen fei, als aus zahlreichen häuslichen Geräthen, welche der
Bauernftand hier und dort in jahrhundertalter Gewöhnung, ihm ganz unbewufst,
nach den fchönften Muftern vergangener Kunftperioden erzeugt. Auf der Parifer
Ausftellung erregte eine kleine Sammlung von Krügen aus einfachem, rothem
Thone gebrannt, wie fie die portugiefifchen Bauern für ihren Bedarf felbft
erzeugen, die Aufmerkfamkeit aller Kunftkenner. Waren es doch Krüge in der
reinften antiken Form. Taufendfach waren die Anregungen, als man einmal
erkannte, was man in den Erzeugniffen der Hausinduftrie zu fuchen und wie
man das Gefundene zu benützen habe. Die letzten fünf Jahre haben in diefer
Richtung vielfach aufklärend gewirkt, und das mag es erklären, dafs die meiften
Staaten die Gruppe XXI, wenn auch vielfach die eigentliche Abficht mifsverftehend,
befchickt haben.
Nur Italien hat merkwürdigerweife die hier bezügliche Gruppe vernach-
läffıgt, was beiManchem, der nach fyftematifcher Ordnung nach den Katalogen
die Ausftellung befuchte, mancherlei falfche Vorftellungen zu verbreiten geeignet
war. Man mufste aber in Italien bei Gruppe VH vor Caftellani’s Goldfchmiede-
arbeiten innehalten, ebenfo wie vor der Ausftellung von Aleffandro und
Torquato Caftellani in Gruppe IX, wo man die wunderbaren, bei den
italienifchen Bauern gebräuchlichen Töpferwaaren in Porcellanimitationen be-
wundern konnte. Aleffandro Caftellani hatte in den Thälern der Apenninen die
Refte einer uralten Gold-Schmiedekunft entdeckt und in den zierlichen Schmuck-
gegenftänden antike Technik und Form wiedererkannt. Das South Kenfington
Mufeum hat mit viel Glück die Sammlung des bäuerlich-italienifchen Gold-
[chmuckes erworben. In ähnlicher Weife haben in einzelnen abyelegenen Thälern
die italienifchen Bauern eine die fchönften und prächtigften antiken Mufter
zeigende Thonwaaren-Erzeugung erhalten. Caftellani fammelt feit Jahren diefe
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