20 Dr. Jofef Bayer.
kungen, eine ausgefprochene Richtung auf das Glänzende und Effedtvolle, das
zu dem monumentalen Ernfte der früheren Münchener Epoche einen bezeichnen-
den, fo ganz modernen Gegenfatz bildet.
Wer denn alfo das deutfche Kunftleben der Gegenwart durchaus fchema-
tiiren und fo hübfch überfichtlich nach gewiffen allgemeinen Erkennungszeichen
ler Schulen fich zurechtftellen möchte, der würde gerade jetzt bei feinem „kriti-
fchen Beftreben* etwas in die Enge gerathen. Käme es auf eine ganz genaue
Charakteriftik an, fo müfste man im einzelnen Falle nach den Eınflüffen, die von
den Ateliers namhafter Künftler ausgehen, Umfrage halten — nicht weiter mehr
oder nur in zweiter Reihe nach denen der akademifch geregelten Schulen. Die
innere gröfsere Ausbreitung jener Richtung, die fich entfchieden den coloriftifchen
Wirkungen zuwendet, lockert den uniformen akademifchen Schulzwang, um aber
umfomehr den Einflufs perfönlicher künftlerifcher Anregung zu fteigern. Freilich
wirken bedeutende Coloriften zunächft nur für das Machwerk fchulbildend, nicht
auch für die Kunflideen und Auffaffungsformen. Das Band, welches lediglich
die Technik zwifchen Meifter und Schüler knüpft, ift für kurze Zeit ein höchft
intimes , um fich aber dann ebenfo fchnell wieder zu löfen — da nur eine gewilffe
Ideengemeinfchaft, wie fie der Stil und die Compofition allein gibt, jenes Band
für die Dauer zu befeftigen vermag. Daher auch die ziellofe und bunte. Mannig-
faltigkeit des gegenwärtigen deutfchen Kunfttreibens in Allem, was Wahl und
Behandlung der Stoffe, überhaupt die eigentlich geiftige Auffaffung betrifft: eine
Mannigfaltigkeit bedenklicher Art, die man fafl Zerfplitterung nennen möchte.
Das Ueberhandnehmen des coloriftifchen Elementes führt häufig zur Gleich
giltigkeit gegen die geiftige Bedeutung des Stoffes oder zur Abfchätzung desfelben
nach dem Effed. Die Farbe fpricht eine Allerwelts[prache in der Kunf; gewiffen-
haft verwendet fteht fie im Dienfte der fcharfen individuellen Charakteriftik —
wenn fie aber blos auf das Gefällige und Elegante losarbeitet, dann macht fie Zu-.
seftändniffe an jeden Modegefchmack. Sie treibt in der Kunft von Innen heraus das
Lebensblut ins Antlitz, aber fie trägt auch die cokette Schminke auf die Wangen.
Es gibt eine folche coloriftifch gefchminkte Modekunft, die mit den Wirkungen
eines im grofsen Sinne ftudirten Colorits nichts gemein hat; fie macht jetzt ihre
Reife durch die Welt und verfucht gelegentlich auch ihre Erfolge in der fonft
ehrlichen deutfchen Kunft. Zum Glücke nur gelegentlich. In der Regel gebraucht
man bei uns Deutfchen die Farbe als Ausdrucksmittel, nicht als Selbftzweck colo-
riftifcher Bravour und Coketterie.
Bei allem löblichen Bemühen, die Kraft und Harmonie derfelben zu ftei-
gern, widerfteht man doch in den meiften Fällen mannhaft der Verfuchung, fich
in eine banale, weltläufige Popularität hineinzumalen. Die Deutfchen haben zu
wenig kecke Courage, eben auf alle Abenteuer des Pinfels einzugehen; eher ver-
tiefen fie fich einmal nach ihrer Art in eine feltfame Farbengrübelei, von der der
hochbegabte Arnold Boecklin in feinem „Centaurenkampf“ und noch mehr in
feiner miftifchbunten „Pietä* die verwunderlichften Beifpiele gegeben hat. Sonftt
bewegt fich in der Regel die deutfche Farbengebung nicht zwifchen den weiteften
Extremen; eine feine, aber doch geiftreich bezeichnende Eleganz wie beiRam-
berg, eine glänzende, auf die Gefammtwirkung wohl calculirte Farbenharmonie
wie bei Piloty, eine für den Zweck des feelifchen Ausdruckes und der aller-
beftimmteften Menfchendarftellung mit etwas fpitzem Pinfel hingefchriebene Farbe
bei dem genialen Ludwig Knaus, dann das warme, leuchtende, wenn auch nicht
immer wahre Colorit des Berliner Farbenvirtuofen Guftav Richter — diefs
wären fo einige Haupttöne in der chromatifchen Scala der modernften deutfchen
Malerei. Zwifchendurch fteht eine Reihe der refpedtabelften Künftler, welche
die Farbe nur wie eine fefte, ausgefchriebene Handfchrift gebrauchen, ohne
Rückficht darauf, ob fie zierlich ausfieht, wenn fie nur den künftlerifchen Zweck
deutlich und ganz ausdrückt. Ich meine damit folche Maler, welche wirklich mit
dem Pinfel ıhre Sachen hinfchreiben, nicht blos ihr gezeichnetes Concept illumi-