Full text: Bildende Kunst der Gegenwart (Heft 75)

   
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
   
    
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
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9) Dr. Jofef Bayer. 
Körperform nur die Ueppigkeit des entblöfsten Fleifches. Wenn aber die antiken 
Künftler gelegentlich die Phrynen in Göttinnen verwandelten, fo machen die 
modernen Franzofen die Göttinen wieder zu Phrynen. 
Es ift einmal die Nachfrage nach Nuditäten in der franzöfifchen Kunft fehr 
grofs: da mufs denn auch, wo die Mythologie als Vorwand nicht mehr ausreicht, die 
AllegorieundPer fonification zuHilfe genommen werden, die ja auch ein 
willkommener Freibrief für das Nackte ift. Endlich folgt dann die Nudität als 
Selbftzweck, ohne jeden Prätext, und zuletzt dann als cynifche Pointe diefer ganzen 
Gattung — das widerliche Motiv des Sclavinenmarktes, die Nacktheit des leben- 
dig feilgebotenen Menfchenfleifches. 
Nuditäten, unter allegorifcher Etiquette auf den Markt gebracht, hatte die 
franzöfifche Expofitionmehrere aufzuweifen; fo die„Nacht“* von Alboy-Rebou 
et (Nr. 2), den „Frühling“ vonBouvier(Nr. 82), den „Schlaf“ vonB.v.Gironde 
(Nr. 293) und vor Allem die Primadonna in der Schauftellung des Leibes und der 
wirkfamen Adtftellung: JulesLefebvre’s „Wahrheit“ (Nr. 423). Der letztgenannte 
Künftler fcheint überhaupt nur das Weib „an fich*, ohne jede verhüllende Zuthat 
zu malen; „La Cigale“ (Nr. 425) und die „Femme couchee“ (Nr. 422), letztere 
im Befitz des rechten Mannes, des Herrn Al. Dumas fils, find weitere virtuofe 
Proben diefer geilen Körpermalerei. — Von ehrlicher Allegorie, die wirklich 
einen Gedanken durch Figuren finnbildlich ausdrücken will, enthielt die franzö- 
fifche Abtheilung auch mancherlei, das freilich zuweilen neben der wohlgemeinten 
Abficht und forgfältigen Bebandlung auch den Stempel der Langweile trug: fo 
ZB. die „nationale Blesiec (NE 22) vonR Balze; „DerGreis und die drei 
Jünglinge“, Illuftration zu einer Lafontaine’fchen Fabel (Nr. 141) vonCh. Co&ffin 
dela Foffe; „Becher und Leier“ (Nr. 539) von L. Priou, wenigftens von 
frifcherer und lebhafterer Farbe, als fie fonft bei Allegorien Brauch ift; „Die 
Wahrheit von der Lüge verleitet“ (Nr. 578) von Frau Ad. Salles-Wagner; 
„Die Comödie“ (Nr. 537) von J. Poncet;.„La Piete“ (Nr. 603). und „Die Mufe 
und der Dichter“ (Nr. 604) vonCh. Timbal, das letztere Bild von guter Haltung, 
wenn auch von mittelmäfsiger Compofition. Das wirkfamfte und figurenreichfte 
der allegorifchen Bilder war jedenfalls „Das Glück“ von Achille Sirouy (Nr. 594). 
Ein Thema fürwahr, das unferer von fpeculativen Giücksträumen aufgeregten Zeit 
ernftlich zu fchaffen gibt, und über das blofe allegorifche Spiel weit hinausgeht. 
Von den Abenteurern der Weltmeer-Ritterfchaft, den Eldoradoträumern bis zu 
unferen Börfenglücksrittern hinab, fehen Alle mit fieberbafter Erregung nach der 
Göttin hin, die mit behenden Füfsen die gläferne Kugel unter fich weiter fchiebt; 
das Thema von der „Jagd nach dem Glücke“ ift fürwahr ein zeitgemäfses geblie- 
ben, undiftesimmer mehr geworden, feitdem fchon AlbrechtDürrer feine „grofse 
und kleine Fortuna“ concipirte. In diefem Stoffe haben wir eine Concurrenz 
zwifchen einem deutfchenund einemfranzöfifchen Künftler vor uns. Henneberg’s 
Bild ift von ergreifenderer, phantaftifcher Tragik; bei ihm ift’s wirklich eine wilde 
Jagd nach der lockenden Irrwifchgeftalt der Glückshexe, die unwiderftehlich 
nachziehend über den Abgrund hinfauft, und ein einzelner Wahnverblendeter ift’s, 
der da dem Phantom in tollem Ritte nachfetzt. In dem grofsen Gemälde Sirouy’s 
blickt ein ganzes aufgeregtes Menfchengedränge zu der übel berufenen Göttin 
empor, die es in der Höhe überfchwebt; fie wirft Kronen und Gefchmeide, Lor- 
beerkränze und Gold unter die raffgierige Menge — Männer und Frauen, Vornehm 
und Gering durcheinander — die fich unter einander ftofsen, drängen, niederwerfen, 
um die gleifsenden, durch die Luft fliegenden Gaben zu erhafchen. Ift Henneberg’s 
Compofition origineller und geiftvoller, fo können wir dem franzöfifchen Bilde, 
wenn es auch mehr für die decorative Wirkung arrangirt erfcheint, eine glänzende 
malerifche Wirkung nicht abfprechen. 
Das Phantaftifche und Abenteuerliche mifcht fich überall der 
franzöfıfchen Kunft bei; rein präparirt tritt es aber in einer eigenen Gruppe von 
Bildern in ganz verwunderlicher Form auf. Es find feltfame Nachzügler der 
     
   
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