Full text: Bildende Kunst der Gegenwart (Heft 75)

   
    
  
   
   
   
    
  
  
    
  
  
  
   
  
   
   
   
    
  
  
  
    
  
    
    
  
   
   
  
   
  
  
   
   
  
   
  
  
  
   
   
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
   
   
  
    
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
     
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N 1 - 327 
Die Malerei. O4 
glänzende Färbung dringe, um nach ihrem eigenften Wefen verfinnlicht zu 
werden. Die Forderungen des Stoffes und ihre eigenen künftlerifchen Inftincte 
kamen einander auf halbem Wege entgegen; das Colorit trat gleichfam mit hifto- 
rifcher Legitimation auf, und der reiche, nicht fo fchnell zu erfchöpfende Kreis 
der einheimifchen Gefchichtsftoffe, denen nach Seite der Farbe immer etwas 
abzugewinnen war, gab dem Realismus der belgifchen Kunft eine gewiffe 
Gefchloffenheit und Vornehmheit und bewahrte ihn vor dem Zergehen in die 
kleinen Gattungen, dem allzu grofsen Uebergewichte des Genres und der blofsen, 
inhaltsleeren Pinfelvirtuofität. Dies fcheint mir die wichtigfte Ausbeute jener 
Wendung im belgifchen Kunftleben zu fein, die mit Guftav Wappers begann, 
in Ed. de Bitfve und Nicaife de Keyfer fo erfolgreich fich fortfetzte, um 
dann in Louis Gallait ihren Höhepunkt zu erreichen. 
Allerdings kam man da in der ideellen Durcharbeitung des Stoffes über eine 
gewiffe Stufe nicht hinaus. Das gefchichtliche Leben ift in dem Glanze der Tech- 
nik, in dem brillanten Colorit wie in einer farbigen Prachterfcheinung gleichfam 
eingefangen; innerhalb derfelben ift nur mäfsige Bewegung, faft nirgends fpricht 
fich die volle Kraft der Handlung aus. Die porträtartige Charakterittik ift vor- 
herrfchend, nicht der eigentlich dramatifche Zug; fo felbft in Biefve’s Hauptbild: 
„Der Compromifs des niederländifchen Adels“. Auch Louis Gallait, der fich 
innerhalb des Kreifes der belgifchen Kunft zu der höchften hiftorifchen Darttel- 
iungskraft erhob, drückt in feiner berühmten „Abdankung Carl’s V.“, hierin dem 
deutfchen Leffing verwandt, mehr die Stimmung des hiftorifchen Momentes und 
der bedeutfamen Handlung, als diefe Handlung felbft nach ihrer vollen drama- 
tifchen Geltung aus. Weiterhin befchränkt er fich ganz darauf, das hiftorifche 
Stimmungsbild im höchften malerifchen Sinne durchzubilden; er umgeht den 
entfcheidenden dramatifchen Moment und malt nur das „Vor“ oder „Nach“ zu 
demfelben: „Egmond mit feinem Beichtvater im Kerker“, „die Brüffeler Schützen- 
gilde vor den Leichen Egmond’s und Hoorn’s. Die glänzendfte technifche 
Detaillirung der Farbenwirkung und die pfychologifche der über das Bild fich 
verbreitenden Stimmung klingen da in einen Accord zufammen; der volle drama- 
tifche Ausdruck würde eine folche breite und feine Detaillirung nicht mehr 
zulaffen. die Farbe müfste zum Ausdrucksmittel eines bewegteren, ins Grofse 
gehenden hiftorifchen Styls werden, das ganze belgifche Behagen der colo- 
riftifchen Einzelausführung wäre ans feiner Ruhe aufgeftört. Hier fallen, wie fo 
häufig, die bezeichnendften Vorzüge und zugleich die Grenzen einer Kunftrichtung 
in demfelben Punkte zufammen. 
Es bleibt noch immer fchwer zu entfcheiden, wie weit jenes farbige Stück 
niederländifcher Gefchichte infpirirend auf die Durchbildung des Colorits gewirkt, 
oder inwiefern das gefteigerte coloriftifche Bedürfnifs, mehr nur einem äufser- 
lichen malerifchen Zuge folgend, fich jener Gefchichtsftoffe als der technifch 
möglichft dankbarften und zugleich im nationalen Sinne populärften Stoffe 
bemächtigt hat. In dem letzten Stadium, in welchem fich gegenwärtig die bel- 
gifche Malerei befindet, hat jedenfalls diefe hiftorifche Kunftbegeifterung merk- 
lich nachgelaffen. Was die Ausftellung in jener Richtung aufwies, ift meiftens von 
viel friherem Datum und rührt von den älteren bewährten Meiftern der Brüffeler 
Schule her. Solche Bilder find Schauftücke aus einer Gallerie moderner Maler, 
keine eigentlichen Ausftellungsobjedte, die uns über den Kunftzuftand in feiner 
letzten Phafe unterrichten. Im Allgemeinen zieht es die belgifche Malerei von der 
hiftorifchen Höhe wieder nach abwärts ins Genrefach. Nur ift im letzteren jeden- 
falls viel von der vornehmen und glänzenden Behandlung, von dem höheren 
malerifchen Gefchmacke geblieben, der fich an jenen Gefchichtsftoffen gefchult 
hat. Unter den älteren Meiftern begegnen wir Nicaife de Keyfer, dem bereits 
verftorbenen Henri Leys, Eduard de 3idfve und Louis Gallait. Von dem 
Erfteren hing im internationalen Saale fein „Karl V. in Tunis“; von Biefve war 
die „Gräfin Sabine von Egmond“ ausgeftellt, die vom Himmel die Befreiung 
  
  
 
	        
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