Full text: Bildende Kunst der Gegenwart (Heft 75)

   
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Dr. Jofef Bayer. 
uns die letzten Lebensftunden Nero’s fchildert, aber mehr mit malerifchem Fleifs 
der Ausführung in dem Interieur und Beiwerk, als in der Charakteriftik des ver- 
zweifelnden Tyrannen, der keine fonderliche Energie der Auffaffung zeigt. Gius. 
Boschetto aus Neapel, von dem wir fchon einen Galilei anführten, fchildert uns 
die Epifode einer auf der Flucht ergriffenen Sclavin in Rom mit aller aufregenden 
Wirkung, die in der Situation liegt. Diefer Maler zunächtt ift es, der die ganze 
lwebhaftigkeit, ja Heftigkeit des italienifchen Naturells in die Auffaffung römifcher 
Stoffe überträgt. Sein grofses Bild, welches die Ausftellung der Profcriptions- 
tafeln Sulla’s und die Wirkung davon auf das mordluftige Gefindel darftellt, halte 
ich in diefem Sinne für eines der bezeichnendften Werke der neuitalienifchen 
Kunft und in der Beredfamkeit der verwilderten Affecte, die fich in Stellung, 
Gefticulationen und Mienen kundgibt, für ganz vortrefflich. Bei den römifchen 
Stoffen haben wir auch der „letzten Veftalin* von Vinc. Hayez in Ehren 
zu gedenken. 
Mitfremdländifcher Gefchichte geben fich die Italiener nicht viel 
zu fchaffen und dann behandeln fie diefelbe entweder novelliftifch oder opern- 
haft, immer auf den calculirten Einzeleffedt des Momentes, mag er nun fpannend, 
auf eine feine Spitze geftellt fein, oder die Rührung und den Affect im vollen 
Mafse entfeffeln. Schon die einfache Angabe der Stoffe deutet auch die Rich- 
tung und vorherrfchende Auffaffungsweife an. So zum Beifpiel A. Cattaneo 
in Rom: „Cardinal Ferdinand von Medici bei Franz I., dem der Verdacht auffteigt, 
er fei eben vergiftet worden“ (novelliftifch); Lod. Norfiniin Florenz: „Jacob 
II., der feinem Neffen, dem Herzog von Monmouth, die Begnadigung verweigert“ 
(pathetifch im Sinne derhiftorifchen Oper) und fo weiter. 
Wir kommen auf die italienifche Genremalerei, eine Gattung, welche 
{ich die Italiener, feitdem jene Repräfentanten der Mailänder Schule, die Genre- 
maler Domenico und Guglielmo Induno, die Fahne des Realismus aufgehifst 
haben, erft in neuerer Zeit zu eigen machten. Die objedtive Beobachtung, den 
liebevoll eindringenden, gefchärften Blick, der diefer unerfchöpflichen Gattung 
‚lie gröfsten malerifchen Eroberungen in den kleinften Gebieten erringt, befitzen 
die Italiener noch nicht. Sie find für die künftlerifch confequente Durchbildung 
des Genrefaches bei aller Lebhaftigkeit momentaner Beobachtung zu flüchtig, zu 
erregt und unruhig. Auch hiergehen fie gern direct auf die fpannendenMomente,, 
die Spitze der Situation los; im Gegenfatze zu der deutfchen Gemüthstiefe, die 
ihren ganzen Segen diefer Kunftgattung zutheil werden läfst, überwiegt im italieni- 
fchen Genre der ftachelnde Reiz des Pikanten oder Erregenden, des Sentimen- 
talen oder Leidenfchaftlichen. Auch wo der Stoff heiter erfafst wird, ift er zuge- 
fpitzt, auf die momentane Situationswirkung geftellt. Das theatralifche Wefen 
des Italieners bricht auch hier durch, er kann auch im Genre nicht ruhig beob- 
achtend erzählen, er mufs Alles womöglich mit ftarker gefticulirender Begleitung 
in Scene fetzen. Das ftimmt wohlnicht zu demäfthetifchen Principe diefer Gattung, 
im einzelnen Fall kann es aber wieder ein Vorzug fein; jedenfalls ift es für das 
italienifche Kunftnaturell charakteriftifch. Wie fpannungsvoll ift die Scene aus 
einem italienifchen Hausdrama, die uns Dom. Induno unter dem Titel: „Un 
amore occulto* vorführt! Und in diefer Art geht es fort. Die Empfindung äufsert 
fich ftark, mit jener eigenthümlichen romantifchen Sentimentalität, die von dem 
ftilleren deutfchen Empfindungsleben wefentlich verfchieden ift. Da wäre zum 
Beifpiel eine im Kirchftuhl betende vornehme Italienerin, die ihren Gatten oder 
ihren Sohn in Gedanken auf einem Schlachtfelde zu fuchenhat, von M.Bianchi 
aus Mailand, für diefe Richtung befonders bezeichnend. Das Muttergefühl gibt 
fich im Genrebild, fei es in Freud oder Leid, auch mit einer gewiffen pathetifchen 
Lebhaftigkeit kund ; fo in den coloriftifch vortrefflichen Bildern von Lod. Bu fi 
in Bologna, „Mutterfreude“ und „Mutterfchmerz“. Der Jammer der Witwen und 
Waifen tritt ziemlich anfdringlich an unfer Mitleid heran; zum Beifpiel in den 
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
	        
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