Full text: Bildende Kunst der Gegenwart (Heft 75)

   
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Die Malerei. 83 
matteren Lebenskraft, der zarten Hinfälligkeit der Treibhauspflanze, auch da, 
wo fie fich ein kräftig ftrotzendes Ausfehen zu geben fucht. 
Die Engländer fahen eben ein, dafs zum vollftändigen geiftigen Haushalte 
einer Nation auch die Kunft gehöre, und als ihnen diefs klar wurde, forgten fie 
auch für eine folche. Bezeichnend fcheint mir diefs, dafs fie dort mehr nur Aus- 
drucksmittel für Stimmungen und Gefinnungen ift, die in einem andern Boden, 
als in der Welt des Ateliers wurzeln. William Hogarth war zunächft Moralift und 
fcharfer Beobachter der Menfchen, für deren Thorheiten und Verirrungen er den 
echt englifchen Scharfblick pfychologifcher Beobachtung befafs, und diefen Ten- 
denzen lieh er feine Radirnadel und feinen Pinfel. Der englifche Familienfinn 
infpirirt die Malereifür die Kinderbilder und gibt ihnen, wie dem „Mafter Lamb- 
ton“ von Lawrence etwas fo Liebliches, Zartgepflegtes, beinahe Verwöhntes. Das 
gefchärfte Intereffe für alles Individuelle und Perfönliche läfst das Porträt in 
England gedeihen, wohl aber auch als burlesken Begleiter deffelben die Cari- 
catur. Mit der Jagdliebe und dem Sport der Pferderennen hängt all das feit 
Edwin Landfeer gemalte Wild und die zahllofen Preispferde zufammen, die in 
folcher Ueberfülle nur den Engländer allein nicht langweilen. 
Der fcharfe Beobachtungsfinn verweift die englifche Malerei auf die rea- 
liftifche Richtung. Wenn ein Engländer ausnahmsweife im Idealismus macht und 
akademifirt, dann geräth er faft unfehlbar ins Leere und Oede, in eine fchul- 
gerechte Kälte und Förmlichkeit hinein, von der z. B. Benjamin Weft in feinen 
Bildern aus der claffifchen Gefchichte und Mythe bedenkliche Beifpiele lieferte. 
Aber Realismus ift für die Bezeichnung einer ganzen nationalen Kunftweife ein 
zu vages Wort. Ift nicht die belgifche, die holländifche Malerei, die neue Münchner 
Schule unter Piloty’s Einflufs, die düffeldorfifche Pflege des Genrefaches eben- 
falls realiftifch? Und weiche Verfchiedenheiten treten uns da entgegen, für die 
nur eine ganz fcharfe Charakteriftik das zutreffende Wort findet. Der englifche 
Realismus drückt in der Malerei fowohl als in der Dichtung, namentlich in der 
Schilderung des Romanes, das echt germanifche Princip des Individualismus in 
höchfter Potenz aus. Sowohl der Realift wie der Idealift kann uns Typen geben, 
das heifst, die Erfcheinungen mehr zufammenfaffend und dem allgemeinen Ein- 
druck nach darftellen. Die englifche Kunft gibt uns da, wo fie fich am ftärkften 
zeigt, nur das Eigengeartete, fcharf Significante wieder; fie fafst das Individuum 
an jener Stelle wo es am individuellften ift, ohne Sorge dafür, wie es fich dann 
repräfentiren möge. So find auch die englifchen Maler vor Allem Charakteriftiker, 
und felbft wo fich der Humor und die komifche Richtung einftellt, da ftammt fie 
durchaus aus derfelben Quelle. Ihre Darftellung geht nicht mit diredter Tendenz 
auf das Komifche los, fondern diefes findet fich ungefucht ein, fobald es durch 
das Charakteriftifche an die Oberfläche herausgetrieben wird: Diefer prononcirte 
Individualismus geht durch alle Gattungen, durch die Menfchen- fowie die Thier- 
darftellung. Der englifche Köter im Bilde ift ein höchft perfönlicher Hund; und 
auch fonft fieht das englifche Auge die Thierwelt pfychologifch auf das individuell 
Unterfcheidende an, während anderswo das gemalte Vieh oft nur ganz generelles 
Vieh ift. Die Thierbilder des fchon früher erwähnten Landfeer, fein Hund des 
Lords und des Portiers, feine damenhaft coketten Meerkatzen u. f. w. find bekanut 
genug; doch um einen näherliegenden Beleg zu nennen, bieten für das eben 
Bemerkte die beiden prachtvollen Hunde desfelben Malers, die ihm auf feinem 
Selbftporträt als freundfchaftliche Kritiker in die Mappe gucken, ein ganz emi- 
nentes Beifpiel, das uns von der Weltausftellung her zunächft geläufig ift. 
Doch das eben Bemerkte bedarf der Einfchränkung, um als richtig zu 
gelten. Der Tendenz auf das Icharf Bezeichnende und Charakteriftifche tritt eine 
andere Richtung entgegen, welche fie ebenfo häufig kreuzt und hemmt. Sie ftammt 
aus dem ftark entwickelten Convenienz- und Schicklichkeitsgefühl der englifchen 
Gefellfchaft, welches auch bedingend auf die Kunft und ihre fpontanen Triebe 
wirkt. Mehr als anderswo fteht diefelbein England unter der gefellfchaftlichen 
     
   
   
   
   
   
   
   
  
  
   
   
   
  
   
   
   
   
  
   
   
   
   
   
   
  
   
   
   
   
  
   
   
   
  
  
  
  
   
   
   
   
  
  
   
   
   
  
   
  
  
  
   
  
  
     
  
  
  
 
	        
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