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Der Zeichen- und Kunftunterricht. 15
Werin den deutfchen Unterrichtsausftellungen die zahlreichen Portefeuilles
mit Zeichnungen aus den verfchiedenen Kunftfchulen durchblätterte, konnte finden,
dafs neben gothifchen und antiken Vorbildern vorzugsweife die Renaiffanceformen
vertreten waren. Wo im felbftftändigen Schaffen aber der Verfuch gemacht wurde,
diefe verfchiedenen Elemente zu vereinigen, ftörte bisher fo zu fagen mehr ein
Stil den anderen, als dafs eine organifche Verfchmelzung derfelben ftattgefunden
hätte. Für die Klärung der Ornamentik in der deutfchen Induftrie fehlt noch
überall in den Schulen das fo nothwendige Studium der Natur und fpeciell der
Pflanze; fo lange blofs Hergebrachtes copirt wird, kann von einer Entwicklung
neuer Elemente nicht die Rede fein. Aus der Natur ift dann auch das Verftändnifs
für den Zweck des Ornamentes zu fchöpfen, nämlich das Beziehen zum Gegen-
ftand und zum Materiale oder die Kunft zu lernen, das Harmonifche der Profa-
formen in die Formen eines rhythmifchen Aufbaues zu übertragen. Die deutfchen
kunftgewerblichen Schulen ftehen mit der Induftrie vielfach in regfter Wechfel-
beziehung, und ift ihr Einflufs vielleicht ebenfo mafsgebend wie in Frankreich
und anderwärts, was fchon daraus erhellen mag, dafs beiderfeits die gleichen
Mängel und Vorzüge zu Tage treten.
Die Erfahrungen, die von den Deutfchen ‚auf den früheren Weltaus-
ftellungen in Bezug auf ihre Induftrie gemacht wurden, haben wohl langfam
eine Wandlung im Gefchmack veranlafst, aber eine entfchiedene Reform ift
bisher noch nicht durchgedrungen. Freilich fehlte bis vor Kurzem hiezu die
ftaatliche Einheit und mit ihr ein nothwendig leitender und anregender Impuls
von „Oben“ herab; dann aber, was fchon Gottfried Semper in feinen „Vor-
fchlägen zur Anregung eines nationalen Kunftgefühles“ bei Gelegenheit der erften
Londoner Weltausftellung niederfchrieb; „ein zweckmäfsiger allgemeiner Volks-
unterricht des Gefchmackes“. Erft in der jüngften Zeit beginnt fich’s auf allen
Seiten zu regen, und wenn die Zukunft rüftig weiter arbeitet, fo dürfte bald der
Kunftunterricht feine ihm gebührende Stelle in der Schule einnehmen. Das Zeich-
nen, welches aufser den Kunftfchulen bisher blofs in den gewerblichen Fort-
bildungsanftalten, den Sonntags- und Abendcurfen etc. gepflegt wurde, findet nun
auch fchon theilweife in den allgemeinen Unterrichtsanftalten Eingang, mit der
Miffion, den Sinn für das Schöne in den Formen zu wecken. Vieles bleibt zwar
in diefer Hinficht noch zu wünfchen und Vieles ift noch der Hoffnung anvertraut,
die vollfte Anerkennung aber verdient fchon jetzt das energifche Streben der
deutfchen Zeichenlehrer, welche fich mit dem regften Eifer um ihren Gegenftand
annehmen und befonders in Bezug auf Methodik und zweckmäfsige Vorlagewerke
für den elementaren Unterricht bereits Trefiliches geleiftet haben. Zu bedauern
war es nur, dafs auf der Ausftellung wenig Schülerarbeiten aus den Volks- und
Mittelfchulen vorlagen; das Meifte bezog fich auf die Fach- und Fortbildungs-
fchulen, in welcher Hinficht (befonders aus Süd-Deutfchland) ein klares Bild der
gegenwärtigen Beftrebungen gewonnen werden konnte.
In den folgenden Berichten über das Ausgeftellte der einzelnen deutfchen
Länder hat fich denn der Berichterftatter dem vorhandenen Materiale nach vor-
zugsweife an den gewerblichen, refpective induftriellen Unterricht gehalten und
von den Volks- und Mittelfchulen vielfach nur die auf den Gegenftand bezüglichen
gefetzlichen Verfügungen, die aufgelegten Vorlagewerke und fonftigen Unterrichts-
apparate der Befprechung unterzogen. Das Materiale war auch in diefer Hinficht
ein fehr reiches und hatten überdiefs die meiften Staaten darauf Bedacht genom-
men, durch fchriftliche Erläuterungen zu ergänzen, was wegen Raummangels oder
anderer Umftände der Ausftellung ferngeblieben war.
Baiern. Die Unterrichtsausftellung Baierns erftreckte fich über Mle Kate-
gorien von Bildungsanftalten, von der Erziehung des Kindes in den erften Lebens-
jahren an bis zu den technifchen und kunftgewerblichen Hochfchulen. Zahlreiche
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