Armand Freiherr von Dumreicher.
Der Reorganifationsplan vom 21. März 1870 dehnte fodann den Gefammt-
curs der Gewerbefchulen auf drei Jahrgänge aus, fügte den Unterricht in neueren
Sprachen in den Lehrplan ein, und verfchärfte die Aufnahmsbedingungen auf das
bedeutendfte, fo dafs die Candidaten nunmehr die Reife für Secunda eines Gym-
nafiums oder einer Realfchule erfter Ordnung (in Oefterreich 7. Claffe) nachzu-
weifen haben.
Aus dem früheren Lehrplane gingen in den neuen folgende Unterrichts-
gegenftände, theilweife mit wefentlicher Hinausrückung des Lehrzieles, über:
Mathematik, Phyfik, Chemie, Mineralogie, Mechanik, Mafchinenlehre, mechanifche
und chemifche Technologie, Freihand- und Linearzeichnen, Bau- und Mafchinen-
zeichnen, Bau-Conftrudionslehre und Modelliren; neu hinzu kamen: deutfche,
franzäfifche und englifche Sprache, Gefchichte, Geographie und Comptoirwiffen-
fchaft. Die beiden unteren Claffen umfaffen vorwiegend den theoretifchen Unter-
richt, während die dritte als Fachclaffe für die Anwendung des Erlernten auf das
Gewerbe beftimmt ift. Diefe Fachclaffe befteht aus vier Abtheilungen: 1. für die-
jenigen Schüler, welche höhere technifche Lehranftalten: als ein Polytechnicum
oder die Berliner Gewerbe-Akademie befuchen wollen (allgemein wiffenfchaftliche
Abtheilung); 2. für bau-technifche; 3. für mechanifch-technifche ; 4. für chemifch-
technifche Gewerbe.
Wie ernft die geiftige Hebung des Gewerbeftandes von Seite des preu-
fsifchen Staates gemeint ift, erhellt aus dem Circular des Minifters an die könig-
lichen Provinzialregierungen vom 21. März 1870, in welchem zur Motivirung des
Reorganifationsplanes gefagt wird: „Der angehende Gewerbetreibende mufs im
Stande fein, die Fortfchritte anderer Nationen auf dem Gebiete der Technik und
Induftrie zu prüfen und in feinem, fowie im allgemeinen Intereffe zu verwerthen;
zu diefem Zwecke mufs er fich die franzöfifche und englifche Sprache mindeftens
fo weit angeeignet haben, als zum richtigen Verftändniffe der darin abgefafsten
technifchen Werke erforderlich ift. Die phyfifchen Verhältniffe der Erdoberfläche,
ihre Beziehungen zur Waffer-, Pfanzen- und Thierwelt dürfen ihm nicht unbekannt
fein. Er bedarf endlich eines Einblickes in die Entwicklungsgefchichte der Völ-
ker und Staaten, in ihre Verkehrsverhältniffe und ihre Handelsbeziehungen zu
einander.“
Es ift einleuchtend, dafs diefe Schulen nicht den Arbeitern, fondern nur
den Söhnen bemittelterer gewerblicher Unternehmer zugänglich find und fich
darin wefentlich von jenen früher erwähnten Baugewerk- und Mafchinen-Gewerbe-
fchulen unterfcheiden.
Der Organifationsplan vom Jahre 1870 fpricht übrigens aus, dafs es der
Gemeinde überlaffen bleibt, „im Falle des Bedürfniffes Vorbereitungsclaffen für
die Gewerbefchule einzurichten. Diefe Vorbereitungsclaffen follen ein in fich
abgegrenztes Penfum haben und unter der Leitung des Directors der Gewerbe:
fchule ftehen.“
Wo folche Vorbereitungs- oder „niedere‘‘ Gewerbefchulen von den Com-
munen ins Leben gerufen wurden, find diefelben dreiclafüg, fireben faft einzig
die Vermittlung allgemeiner Bildung an und fordern zur Aufnahme den Nachweis
der Reife für Obertertia (welche der fünften öfterreichifchen Gymnafialclaffe
gleichkommt). Somit fällt auch diefen Communal-Gewerbefchulen nicht die Auf-
gabe zu, den eigentlichen Arbeiter, der ja nur die Bildung der Volksfchule fein
eigen nennt, zum felbftftändigeren gewerblichen Fachmann emporzuheben.
Baugewerk-Schulen in dem letzteren Sinne finden fich übrigens auch auf
preufsifchem Boden, fo die ftädtifchen Anftalten zu Eckernförde in Schleswig-
Holftein, zu Nienburg und Hildesheim in Hannover, zu Iditein in Naffau, zu
Höxter und Siegen in Weftphalen.
Von gewerblichen Lehranttalten, welche der Verwaltung des preufsifchen
Minifteriums für geiftliche, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten unter
ftehen. wären aufserdem hier noch zu erwähnen: die Kunft- und Gewerkfchulen
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