Full text: Allgemeine Bildungsmittel (Heft 67)

   
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
    
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
     
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
Buchhandel und Literatur des Auslandes. 922 
Publicationen ausgegangen find und neben diefen als jüngere Kräfte die gelehrte 
Stilkünftlerin Mifs Evans, Reade, der Nachfolger von Dickens und Thackeray, 
der Vertreter des chriftlich-focialen Romans Kingslay, der aus fernen Welten 
fehöpfende Trollope, der Effayit Henry Holbeach und bezeichnender 
Weife ein deutfcher Schriftfteller, Julius Rodenberg, deffen in englifcher 
Sprache gefchriebener Originalroman „King by the Grace ofGod“ felbft von Briten 
zu den beften Erzeugniffen der Nationalliteratur gezählt wird. Die in ihrer Art 
merkwürdig gefchickten, phantafiereichen und in der Detailmalerei den guten 
Schriftftellern ebenbürtigen Verfaffer von Senfationsromanen, wie Mifs Braddon, 
Miftr. Booth, Capitän Mayne Raid und Andere mehr, waren in unferem Zeit- 
raum gleichfalls nicht müfsig und überfchwemmten nicht nur den englifchen 
Markt mit ihren für die Leihbibliotheken unentbehrlichen Producten. 
Ein Seitenblick auf die englifche Literatur in Amerika gewährt die inter- 
effante Wahrnehmung, dafs fich mitten in dem Getriebe der effecthafcherifchen 
Tagesliteratur und praktifch nüchterner Publicationen eine poetifche, fchwärme 
rifch und mitunter religiös angehauchte Richtung geltend zu machen weifs. Einen 
nationalamerikanifchen Zug weift diefe Richtung in den fieben Gefängen auf, in 
denen Joaquin Miller, der rafch berühmt gewordene Sänger der neuen 
Welt, feine Erlebniffe im Lande der Goldgräber in phantaftifcher Einkleidung 
berichtet. Bemerkenswerth ift ferner Longfellows „The divine Tragedy*, ein 
ftreng religiöfes Paffionsgedicht, das ficb mit feiner erkünftelten Begeifterung den 
berühmten Liedern des amerikanifchen Dichters nicht an die Seite ftellen kann. 
Auch in Italien hat die Vollendung des grofsen politifchen Einigungs- 
werkes zunächft noch keinen fichtlichen Einflufs auf die Pflege der fchönen 
Literatur ausgeübt. In Manzoni wurde der Beherrfcher der grofsen reformatori- 
fchen Bewegung auf literarifchem Gebiete zu Grabe getragen, ohne dafs ein gleich 
umfaffender und energifcher Geift feine Erbfchaft angetreten hätte. In der Kunft: 
form mafsgebend für das ganze jüngere Poetengefchlecht Italiens ift Manzoni mit 
feinen philofophifchen und politifchen Gedanken nicht mehr tonangebend. Die 
italienifche Literatur ringt nach einem neuen Inhalte und wie in allen ähnlichen 
Perioden wird die Production von der Kritik überwuchert; unterdeffen fehlt es 
nicht an poetifchen Verfuchen, welche ein literarifches Mittelgut repräfentiren. Die 
Lyriker Prati, Aleardi, Zanella haben fich durch patriotifche Lieder einen 
angefehenen Namen gemacht. Giofu& Carducei erwarb fich durch feine mafslos 
leidenfchaftlichen Gefänge viele Anhänger und ein bemerkenswerthes Buch ift der 
Piccolo Romanziere von Enrico Panzachi, eine Nachahmung des bekannten 
Romanzenkranzes von Heine. Auf dramatifchem Gebiete wird fehr viel producirt, 
um dem Tagesbedürfnifs der Bühnen zu genügen. Originalftücke treten an Stelle 
der franzöfifchen Produdte, die man allmälig gänzlich aus den italienifchen Thea 
tern verdrängt hat. Neben dem Luftfpiel, das fich in den hergebrachten italieni- 
fchen Formen bewegt, behaupten das Rührdrama und das Senfationsftück die 
erfte Stelle. Durch glückliche Verfuche, auf komifchem Gebiete die claffifchen 
Traditionen zu bewahren und zugleich modernen Inhalt in die alten Formen zu 
giefsen, that fich Ferrari hervor; neben ihm find C o{fa, der noch immer pro- 
dudtive Giacometti, Coftetti, Carrera undCavallotti, der demokratifche 
Tendenzdramatiker, zu nennen. 
Am fchwächften ift der Roman vertreten, auf deffen Gebiete nur die Verfuche 
Guerzoni’sund Donati’seine edlereRichtung anbahnen. Im Uebrigen herrfcht 
die Nachahmung franzöfifcher Autoren und eine krankhaft fentimentale Richtung, 
welche der höheren Bildung ermangelt. Der gediegene hiftorifche Roman, der fo 
lange Zeit in Italien blühte, hat gegenwärtig keinen Vertreter. Ernft, erfolgreich 
und umfaffend war das Streben der italienifchen Nation in den letzten Jahren 
auf wiffenfchaftlichem Gebiete, fowohl was die Naturforfchung, als was die 
Gefchichte und Archäologie anlangt. Die hiftorifche Forfchung hat durch die 
  
  
  
  
  
  
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