Der Welthandel. 9
beeinflufst wäre. „Und was mufste nicht Alles vorausgehen, fagt Peez *, bis die
Errichtungskoften einer Baumwoll-Spindel zu Manchefter nur eın Pfund Sterling,
bei uns aber ungefähr das Doppelte betragen. Die Gefchichte der amerikanifchen
Colonien, die Negereinfuhr dahin, die’Auffchliefsung der englifchen Koblenlager,
die Stellung der Ariftokratie, die Erbauung der Canäle, die Erfindung der Dampf-
und Spinnmafchinen, die ganze Politik von Walpole und Pitt, das find auf eng-
lifcher Seite einige Erinnerungsfäulen, woran wir die grofsen Gedankenbilder
anknüpfen können, die vor unferem geiftigen Auge bei diefer Gelegenheit vorüber-
ziehen. Und liegt nicht umgekehrt in der Thhatfache, dafs wir fo maffenhaft eng-
lifche Twifte verbrauchen und dafs die Errichtung unferer Spinnereien fo bedeu-
tend theuerer ift, die ganze fchmerzliche Gefchichte vom Verfall des mittelalter-
lichen deutfchen Handels und der Induftriethätigkeit eingefchloffen ?“ Diefs ganz
begreiflich zu machen, wollen wir in grofsen Zügen, wie es diefer Arbeit geftattet
ift, die Gefchichte des Welthandels in der Erinnerung unferer Lefer wieder
beleben. Wir müffen dabei den Rath nützen, denn der Urquell der Poefie, die
Edda, dem grofsen Odhin in den Mund legt:
Zur Fahrt ins Weite
Fülle dein Ränzel,
Fülle es weislich mit Weisheit.
Viel gröfseren Werth
Als Gold hat Weisheit!
Sie deckt des Bedürft’gen Bedarf.
Von dort, wohin wir die Wiege der Menfchheit verletzen, von Indiens
reichen Gefilden, drang, eine langfam fich gliedernde Kette bildend und feft
yufammenhaltend, Verkehr und Handel allmälig über Vorderafien nach Egypten,
nach dem Balkan und appeninifchen Halbinfel, Spanien, Gallien und Rufsland bis
zu dem fagenhaften Zinn Eiland und den nordifchen Bernftein-Küften. Die fieben
Millionen Quadratmeilen Waffer, die die Erde umfluthen und von denen kaum
vierzigtaufend der claffifchen Zeit Griechenlands durch ihre Kriegs- und Handels-
züge bekannt wurden, erfchliefsen fich allmälig der Menfchheit und bilden an der
von jeher billigften Strafse des Grofsverkehres die grofsen Handelsplätze, die wie
einft, fo jetzt noch, wie auch das Neue entftehen und das Alte untergehen mag,
die Welt und ihre Güter fammeln und über die Welt vertheilen.
Und immer war es Indien, das mit feinen Schätzen und feinem „Alles
Befitzen“ die übrige Welt auf den langen Weg, den der öftliche Karawanenhandel
des Alterthums einft einfchlug und dann zur gefährlichen Fahrt auf den Meeren
verlockte, um zu holen, was es für Alle bieten konnte, Früchte und Oele,: Stoffe
und Edelfteine, Gewürze und Weihrauch, Alles, was Leben und Geniefsen fordern
kann, und dafür zu nehmen, was es allein nicht hat — Gold und Silber. Es mag
freilich manch’ Jahrhundert vergangen fein, bis man erfahren, dafs man in aller
Welt und für alle Welt mit diefen Gütern alle anderen erwerben, kaufen könne.
Als man es aber erkannte, als Abraham dem Ephron 400 Säckel Silber zuwog
und als man endlich das Wägen vor dem Kaufe abthat und das gewogene
Stück Gold oder Silber, die Münze, das Geld benützte, da trieb die ganze Welt
auf allen Strafsen dahin, zu kaufen und zu gewinnen, und felbft der gefegnete
Indier verläfst fein Vaterland und fetzt fich den Gefahren des Meeres aus. Da
wachfen die im Nordweften höher gelegenen Stämme Afıens empor und dringen
aus dem „Mittelpunkt der Erde* felbft in Indien ein, den träumerifchen Urftamm
kräftigend, und fiihren Handel mit Allem, was Indien bietet, als Fracht nur mit
Schaf- und Ziegenwolle, die heute noch in den Höhenzügen gefucht wird, als
Rückfracht beladen nur mit Gold. Und wie zu Lande fuchen fie die goldgefeg-
neten Striche an der Oftküfte Afrikas auf und bilden dort, wo beide Handelswege
zufammentreffen, Babylon und Niniveh zu den erften Welthandels-Emporien des
* Dr. Alexander Peez: Sieben handelspolitifche Briefe aus England. Leipzig 1863.
F © P >= Er]
3 0 ERRTIN X
nn en Ann