Der Welthandel. >
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3eziehungen zu Italien und Flandern, ein reger Volksgeift und kräftige Regenten
und Staatsmänner haben frühzeitig das franzöfifche Gewerbe entwickelt. Die Woll-
und Leinenfabrication der Bretagne und der Normandie blühte fchon im XIV. Jahr-
hunderte. Die Seideninduftrie wurde durch Franz I., die Glasmanufadtur durch
Heinrich IV. eingeführt und von beiden, wie fpäter durch Richelieu und Mazarin
Leinwand- und Wollerzeugung, Sammt- und Seidenfabrication mächtig befördert.
Der Export franzöfifcher Waaren, zumeift Luxuswaaren, war in diefer Zeit
fchon kräftig entwickelt, und England, Spanien, Portugal und die Niederlande
bildeten franzöfifches Abfatzgebiet. Diefe glückliche Saat hervorragender Staats-
männer wurde, wie bekannt, durch Colbert zur üppigen Reife gebracht. Handel
und Gewerbe blühten in dem Jahrhundert Richelieu’s und Colbert’s in Frankreich
wieinkeinem anderen Lande der Welt, und, begünftigt durch einen reichen Boden,
durch glückliche nationale Anlagen, in denen Arbeitfamkeit und Fleifs, ein beweg-
licher Kunftfinn und fchöpferifche Kraft frühzeitig ihre Früchte zeigten, wurden
die Grundlagen einer induftriellen Herrfchaft gelegt, die Frankreich fortgefetzt
pflegte und durch Jahrhunderte über ganz Europa behauptete. Kriege und Siege
derfranzöfifchen Staatspolitik unterftützten diefe Herrfchaft und frühzeitig bewährte
fich der Satz, den Napoleon III. lange darnach ausfprach und feiner Staatspolitik
zu Grunde legte und den wir fchon früher erwähnten.
Wir erkennen die Wahrheit diefes Satzes in unferen Tagen wieder, wenn
wir der Gefchichte Deutfchlands folgen. Die Blüthe von Handel und Induftrie
eines Volkes hängt eben immer ab von der Macht, Einigkeit, Freiheit und Klug-
heit des Volkes.
Diefe frühzeitige und rafche Entwicklung Frankreichs und der gefunde
Boden, auf welchem diefelbe gedieh, haben die Wunden rafcher vernarben und
die fchlimmen Wirkungen leichter verwinden laffen, welche bald nach einer
glücklichen Zeit die Fehler der Regierung, wie die Aufhebung des Edictes von
Nantes, eine faft hunderthährige Maitreffenwirthfchaft, dann eine faft zwanzig-
jährige Revolution und ein zehnjähriges blutiges Kriegsregiment dem Lande
(chlugen. Tief begründet war das Bewufstfein des franzöfifchen Volkes, dafs der
Reichthum feines Bodens und die Macht feiner Arbeit feine politifche und fociale
Macht erhalten. Defshalb hat jede Zeit und jede Regierung den arbeitenden Volks-
claffen, dem Handel und der Induftrie Früchte getragen und die härtefte Zeit der
Revolution brachte die Freiheit der Arbeit und das volle Bürgerrecht der arbeiten
den Claffe.
Man kann es getroft fagen, dafs kein Volk und kein Staat Europas die
Arbeit fo fehr geehrt und in ihrem vollen Rechte anerkannt hat, als Frankreich!
Nicht England, und Deutfchland noch lange nicht. Und man wird, je mehr man
fich gewöhnt, die Staatsgefchichte mit der Gefchichte der Volkswirthfchaft in inni-
gem Zufammenhange zu betrachten, immer mehr begreifen, dafs es diefe grofse
Entwicklung der Arbeit war, welche Frankreichs Einflufs auf alle Staaten Europas
durch Jahrhunderte mächtig erhielt. Nicht die Ideen der franzöfifchen Revolution
von 1789 waren ganz Europa gemeinfam und drängten es in die gleichen Bahnen,
die Abhängigkeit ganz Europas von Frankreich, die geiftige und wirthchaftliche
Abhängigkeit, die Herrfchaft der Induftrie und des Handels, welche Frankreich in
taufendfach verfchiedener Geftaltung in den Staaten Europas begründet hatte,
riffen die Völker mit in die politifche Bewegung und erzeugten dasfelbe
Drängen, ohnejedoch auf fremdem Boden die gleiche Macht zu finden, aus der
wirthfchaftlichen und politifchen Ohnmacht dasfelbe Ziel, denfelben Sieg zu
erreichen.
Auf den Bahnen und Wegen des franzöfifchen Exportes, nach den Abfatz-
gebieten feiner Seiden- und Wollftoffe, feiner vielfältigen Kunftprodudte drängten
die Staaten Europas, Rufsland, Deutfchland, Italien, Spanien und die Niederlande
nach den franzöfifchen Ideen. Und zeigte die Wiener Weltausftellung nicht das
lebendige Bemühen Frankreichs, der ganzen Welt zu zeigen, dafs es in feiner