Wilhelm von Lindheim.
Die ruffifche Criminalttatiftik.
Bei der grofsen Bedeutung, * welche der Criminalftatiftik eines Landes für
die Gefetzgebung innewohnt, hatte fich eine folche Statiftik auch für Rufsland
längft als Nothwendigkeit herausgeftellt. Den eifrigen Bemühungen des Juttiz-
minifters Herrn Grafen Pahlen, des Departements-Diredtors. Herrn Adamow, und
des Chefs der ftatiftifchen Abtheilung
‚Herrn Utin, gelang es endlich, folgendes
mit der Allerhöchfte
n Genehmigung vom ır. November 1871 verfehenes Verfahren
endgiltig in die Criminalpraxis einzuführen: Bei jedem vom I. Januar 1872 an bei
den allgemeinen Gerichtsbehörden anhängig gemachten Falle werden der fatifti-
fchen Abtheilung des Departements des Juftizminifteriums zugeftellt: ı. eine
Meldung über Exiftenzwerdung des Falles; 2. ein Bericht über den weiteren
Verlauf desfelben und 3. eine Individualkarte über den Inquifiten. Da indeffen
die beftehende Procefsordnung * noch lange nicht im ganzen Reiche eingeführt
ift fo befchränkte man fich vorerft darauf, das neue Verfahren nur in den
,
Gegenden in Kraft treten zu laffen, in welchen die Procefsordnung von 1864 in
vollem Umfange Einführung gefunden.
Nach dem vom Juftizminifterium pro 1872 herausgegebenen „Statiftifchen
Ueberblick der Gerichtsthätigkeit in Criminalfachen“ find 6 Gerichtsbezirke mit
je einer’Palate und im Ganzen 40 Bezirksgerichte bis zum ı. Januar 1873 eröffnet
worden. Der amtliche Bericht felbft zerfällt in zwei Hauptabfchnitte, von denen
der erfte die Verhandlung der Fälle in den in Gemäfsheit der Strafprocefs-Ord-
nung vom 20. November, 1864 gebildeten Gerichtsbehörden zur Anfchauung
bringt, der zweite rein ftatiftifche Daten über alle jene Perfonen enthält
durch die allgemeinen Gerichtsbehörden. wie durch die
Gefängnifsftrafe dem betreffenden Verbrechen fo]
‚ die
Friedensrichter, foweit
gen mufste, zur Verantwortung
gezogen wurden. Wir folgen hiebei den Angaben des äufserft lehrreichen Auf-
fatzes des Herrn J. Haffelbladt im ır. Hefte der verdienftvol
len „Ruffifchen Revue“
Jahrgang 1873.
* Vergleiche die intereffanten Beifpiele, welche Kolb und Mayr (Statiftik Seite, 436)
mittheilen und „die ruffifche Revue“ 1873, Hett 11.
Nach der Proce sordnung vom 20. Noveml
zwei neben einander herlaufende Gebiete:
eine durch Art des Verbrecher
durch das zu didtirende Strafm
ver 1864 zerfällt die Strafrechts-Pflege in
in die allgemeine und die friedensrichterliche, die
ıs, Werth des Objects desfelben und Stand des Subjects. endlich
afs bedingte verfchiedene Competenz haben. Zur erfteren gehö-
ren das Bezirksgericht und die Gerichtspalate, der mehrere Bezirksgerichte untergeordnet find;
zur zweiten das Einzelinftitut des Friedensri ıters und das Plenum der Friedensrichter eines
Bezirks. Die Gerichtspalate ift in gleicher Weife Appellinftanz für die in ihrem Rayon liegenden
Bezirksgerichte, wie das Friedensrichter-Plenum höhere Apellinftanz für die Einzel-Friedens-
richter ift. Von dem Friedensrichter-Plenum, wie von der Palate aus, können Caffationsklagen
in das Caffationsdepartement des dirigirenden Senats gerichtet werden.
*#* Der erfte Impuls zu diefer gigantifchen Reform ift vom Kaifer
worden, denn diefer gründete eine vorz gliche Rechtsfchule für junge Leute, die fich der jurifti-
fchen Laufbahn widmen wollten. Ihre Studien erforderten fehr viel A rbeit, denn das im Jahre
1664 unter Czar Alexei Michaelowitfch redigirte Gefetzbuch enthielt 30.000 Artikel, die auf
Nikolaus’ Befehl claffificirt worden waren (vergl. Barry a. a. ©. Seite 55). Das neue Gefetz mit
Einem Schlage in Rufsland einzuführen, war unmöglich, denn es fehlte in den Provinzen an
Leuten, welche fich zur Uebernahme der richterlichen Fundionen geeignet hätten. Das alte
Gefetz hatte fchriftliches und geheimes Verfahren, nach dem neuen Gefetze find die Verhand-
lungen öffentlich und die erften Beamten unabfetzbar, Die Friedensrichter, deren es in jedem
Diftriete einen gibt, werden befoldet und von den Einwohnern und Grundbefitzern desfelben auf
drei Jahre gewählt, find aber nach Ablauf ihrer Amtsperiode wieder wählbar ; die Wählbarkeit
ift abhängig vom Befitze eines gewiffen Flächenraumes Landes. Befchränkt fich die verhängte
Strafe auf 15 Rubel oder auf Gefängnifs von höchftens 3 Tagen, fo find die Entfcheidungen des
Friedensrichters inappellabel; darüber aber unterliegen fie der Berufung. Diefe Jurisdiction
erftreckt fich in Civilfachen auf alle Angelegenheiten, welche fich um nicht mehr als 500 Rubel
handeln; in Criminalfachen auf folche Fälle, in denen das Maximum der Strafe 3 Monate
fein würde.
Nikolaus gegeben
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