Carl v. Oberleithner.
Das Infelreich jenfeits des Canales und Frankreich waren zwar auch mit
Garnen der Zahl nach fchwach vertreten, dagegen glänzten Belgien, Oefter-
reich, das deutfche Reich und felbft Rufsland durch Gefpinnfte von
hervorragender Perfection.
Den belgifchen Spinnern darf man den Ruhm nicht vorenthalten, dafs fie
die Fabrication feiner Garne .meifterhaft inne haben. La Lys und St. Leonard
ftehen an der Spitze. St. Leonard fcheint in den feinen Flachsgarnen einen kleinen
Vorfprung erreicht zu haben, La Lys, auch hierin perfedt, verdient aber diefsmal
die Siegespaline unter den belgifchen Spinnern, denn ihre Werggarne zeigen
diefelbe bewundernswerthe Egalität wie die Flachsgarne, was man von den anderen
Werggarnen diefer Provenienz eben nicht fagen kann.
Wie vormals der Name „Marshal-Garn“ die befte Qualität bezeichnete, fo
find heute die Ravensberger im deutfchen Reiche und die Hannsdorf-Halbfeiter ir
Oefterreich als die vorzüglichften Kettengarne, insbefondere für die mechanifche
Weberei, gefchätzt. Zahlreiche andere Spinnereien der letztgenannten Staaten
liefern fchwere Ketten von ebenfalls gediegener Qualität. So in Oefterreich die
Wiefenberger, Lambacher, Tefchner und Spachendorfer Spinnerei, welch’ letztere
ein Sortiment überrafchend fchöner Gefpinnfte von hellgelber Farbe ausgettellt
hatte. Im deutfchen Reiche find bewährt Ullersdorf, Vorwärts, Alberti, Wiehart,
Müller u. A.
In leichten Kettengarnen excellirte befonders die Mährifch-Schönberger
Spinnerei, deren gefchmackvolles Arrangement überdiefs Anerkennung verdient.
Die Schufsgarn-Spinnerei Oefterreichs ift eine Specialität. Ihre Fühler bis
nach Zautke in Mähren ausftreckend, hat fie ihren Sitz eigentlich in Böhmen und
zwar in der Gegend von Trautenau und Hohenelbe. Die Bedeutung der böhmifchen
Schufsgarn-Spinnerei geht fchon aus dem einen Momente hervor, dafs die
Notirungen des Trautenauer Marktes tonangebend find für den Garnpreis hüben
und drüben (Oefterreich, Preufsifch-Schlefien und Sachfen). Die colledtive Art,
welche die Trautenau-Hohenelber Spinner für ihre Ausftellung gewählt hatten,
mufs wegen der durch felbe gewonnenen Ueberfichtlichkeit fehr lobend hervor-
gehoben werden.
Rufslands mechanifche Flachsfpinnerei datirt von derfelben Zeit wie jene
Oefterreichs. Girardowo in Ruffifch-Polen und Weigelsdorf in Niederöfterreich
wurden beide unter den Augen de Girarde&’s errichtet, zählen alfo zu den älteften
Flachsgarn-Mafchinenfpinnereien. Es fcheint aber, dafs man in Rufsland nicht fo
rafch wie im deutfchen Zollvereine und in Oefterreich den Zeitpunkt wahr-
genommen hat, demvon den Engländern completirten Spinnmafchinen-Syfteme Ein-
gang zu verfchaffen. Oefterreich hat fchon in den dreifsiger Jahren trotz einem
mit Todesftrafe verfchärften Ausfuhrverbote englifche, dann nach englifchen
Modellen gebaute franzöfifche und nach der Aufhebung des Ausfuhrverbotes
neuerdings Original- englifche Flachs-Spinnmafchinen von Fairbairn und Lowfon
eingeführt. Die Zahl feiner Spindeln beträgt 398.571 gegen 260.000 in Deutfch-
land und 1,640.000 in England. Die Zahl der Spindeln in Rufsland konnte nicht
ermittelt werden, doch ift fie in fortgefetztem Steigen begriffen. Es bedurfte eben
in diefem Staate eines Fermentes von Aufsen und diefs brachten die gegen-
wärtigen Befitzer von Girardowo in reichem Mafse mit. Indem fie diefe indu-
ftrielle Oafe zu neuer Blüthe emporbrachten, rüttelten fie die gefammte Flachs-
induftrie Rufslands gleichfam aus dem Schlafe. Die Girardower Gefpinnfte reihen
fich den beften Deutfchlands würdig an und geben kräftige Gewebe, wofür die
aus denfelben verfertigten, ebenfalls ausgeftellten Leinen- und Damaftwaaren
Zeugnifs ablegten.
Ein ruffifcher Ausfteller hatte mit hellen, feinen Flachsgarnen von grofser
Egalität debutirt, welche nach feiner Angabe aus ruffifchem Flachfe erzeugt
worden fein follen. Die Tammerforfer Actiengefellfchaft im Grofsfürftenthum
Finnland ftellte nebft fehr fchönen Kettengarnen fehr geringe Schufsgarne aus.