Flachs- und Hanf-Induftrie. 9
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Kettengarne von folcher Perfection und Schufsgarne von folcher Unegalität if
man, aus einem und demfelben Spinnerei-Etabliffement herrührend, anderswo zu
fehen nicht gewohnt. Die notificirte Preisdifferenz entfchuldigt nicht voll-
kommen, wohl aber die ifolirte Lage diefer Spinnerei von den Centren der
Fabrication.
Es unterliegt keinem Zweifel, dafs in der Weltausftellung 1873 die mecha-
nifche Flachs-Spinnerei Oefterreichs Anfpruch auf den Löwenantheil der Anerken-
nung erheben konnte. Zählte doch die öfterreichifche Abtheilung der Flachsfpinner-
Branche 74 Austteller und unter diefen die Expofition von Oberleithner's Söhne
& Cie. aus Schönberg und Hannsdorf-Halbfeit, über welche ein ausländifcher
Berichterftatter fagt:
„In einem quadratförmigen Raume von der Gröfse eines mäfsigen Saales,
nur fehr viel höher abgefchloffen von der öftlichen Hauptgallerie durch blaue
Damaftportieren, befindet fich eine kleine Ausftellung von einem recht wichtigen,
aber im Leben für höchft unfcheinbar erachteten Material, von Flachs, welche ich
in Bezug auf gefchmackvolle Anordnung geradezu unter die Perlen des ganzen
riefigen Gebäudes zählen mufs und dringend zur Befichtigung empfehle. Es ift
vielleicht kein zweites Beifpiel dort vorhanden, welches fo geeignet wäre, die
Herrfchaft des kunftgerecht fchöpferifchen Genies über das rohe Material zu
illuftriren, denn man tritt mit einer Art von heiliger Ueberrafchung in diefen
kleinen Tempel ein, und dennoch ift’s nur eine einfache Zelle mit Flachs und
Fabricaten aus diefem Material, und es ift nicht fehr wahrfcheinlich, dafs der
Lefer aus diefer Schilderung auch nur annähernd einen der Wirklichkeit ent-
[prechenden Eindruck erhalten wird. In der Mitte erhebt fich eine Fontaine von
etwa zehn Fufs Höhe, auf deren ornamentalem Mittelftück (wafferfpeiende Köpfe
etc.) die lebensgrofse Statue einer italienifchen Spinnerin fteht, den Rocken unter
dem linken Arme, den Faden fammt dem hängenden Knäuel mit der rechten drehend.
Das fprudelnde Waffer fällt in eine mächtige Schale von ro Fufs im Durchmeffer.
die mit Weinlaub und Früchten des Feldes und des Gartens lieblich umkränzt itt,
ftrömt aus Löwenmäulern ab und fliefst in dünnem Schleier hin und wieder
über den Rand des mit glatt und zopfartig geflochtenem Tauwerk fchön gezierten
Beckens in den Boden, aus dem Flachs und andere Stauden neben Schilf und
Blattpflanzen wie Alifma etc. auffteigen, und das Alles ift ohne Ausnahme von
Flachs gemacht, felbft das Waffer unter der Statue der Spinnerin. Rings an den
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Wänden liegen mannigfache Producte aus demfelben Material in vollendet [chöner
Ausfchmückung und nirgends — ein Wort der Reclame; in der That diefe Kapelle
fpricht für fich felbtt! Sogar den Namen des Ausftellers entdeckt man nur aufser-
halb. Und was ift es, was fo bewunderungswürdig wirkt? Die prunklofe Schönheit
der Form und Gruppirung in Verbindung mit der Einheit und Harmonie der
Farbe, welche wie eine fchöne Bleiftift-Zeichnung in den fanfteften Ueber-
gängen vom hellften Licht zum tiefften Schatten abgetönt ift — nirgends ein
Mifston, wohin auch das Auge fich wende. Niemand follte verfäumen, diefes
Cabimetftück zu fehen und daraus lernen, wie viel fich mit fo Wenigem
erreichen lalst.*
Leider ift die Lage der mechanifchen Flachsfpinnereien augenblicklich
keine günftige. Auf der ganzen Linie herrfcht Entmuthigung, welche fich am
unwiderleglichften nachweifen läfst durch die in den letzten Jahren eingetretene
Stagnation in der Errichtung von Flachsfpinnerei-Etabliffements.
Man mufs nebft den äufseren Feinden, die da find die Baumwoll- und
Jutegefpinnfte, auch diejenigen im eigenen Lager erwähnen. Mangel an zureichen-
dem Spinnftoffe oder,, wo er der Maffe nach vorhanden ift, Mangel an gut zu
bereitetem, preiswürdigen Flachfe, hat die gedeihliche Entwicklung der Flachs-
[pinnerei an und für fich empfindlich gefchädigt.
Der weite Kreis der Confumenten des Leinen wurde bedeutend gefchmälert
durch den notorifchen Widerwillen der grofsen Approvifionirungsftätten für
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