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Die Stickerei und die Spitzen. 9
fprach, und wer vor Allen die Kaiferinin einer Spitzenrobe fah, die vierzig Taufend
Francs koftete, Alles von franzöfifchen Händen verfertigt, der konnte fich von
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der Ausdehnung und Blüthe der franzöfifchen Spitzeninduftrie einen richti;
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Begriff machen. E
Auf allen Ausftellungen war die berühmte belgifche Spitzeninduftrie
würdig vertreten, wenn fie in London auch der englifchen, in Paris der
franzöfifchen einheimifchen Induftrie an Reichthum der Ausftellung nachftand.
Man kann nun fragen: Hat in der Wiener Weltausftellung 1873 die öfter-
reichifche Spitzeninduftrie den Vorrang unter den Spitzen eingenommen, wie bei
den vorangehenden Ausftellungen die einladenden Staaten?
Man durfte das nicht erwarten. Oefterreich hat noch keine io reiche
Bevölkerung wie Grofsbritannien und Frankreich, es zählt noch nicht die Damen
nach Taufenden, welche fich Spitzenfhawls zu 500 Guineen und Spitzenroben zu
20.000 Francs kaufen und keinen Spitzenfhawl und keine Spitzenrobe mit einer
Zeichnung tragen, die noch eine zweite Dame im Lande befitzt; und Oetterreich
hat auch noch keinen fo entwickelten Spitzenhandel wie Belgien, der über
Millionen Gulden Betriebsfond verfügt und Verbindungen mit allen Culturländern
hat. Noch fehlt auch unferen Damen der patriotifche Stolz, ein gleich gutes
einheimifches Erzeugnifs vielleicht defshalb vorzuziehen, weil es wohlfeiler ift;
zu den Fehlgriffen der Producenten kommen alfo in Oefterreich auch noch Unvoli-
kommenheiten-.der.Käufer; allein wirwerden doch auch von einem erfreulichen Auf-
fchwung erzählen können, welchen in der letzten Zeit die Spitzeninduftrie nahm,
wie die Ausftellung zeigte.
Was die Gruppe der Spitzeninduftrie in der Weltausftellung 1873 vor den
früheren Ausftellungen auszeichnete und befondersanziehend machte, das war die
Vollftändigkeit der Sammlung, indem die meiften Staaten, welche die Ausftellung
befchickten, auch Spitzen brachten.
Wir beginnen mit jenen aus der türkifchen Abtheilung, welche bisher dem
europäifchen Markte fremd geblieben find, mit den fyrifchen Spitzen.
Sie find die einzigen Spitzen aus dem Oriente, und nach «er Technik wie
nach der Form ganz eigenartig. Zum Theile gefchlungen, zum Theile geknüpft,
bilden fie kleine Zacken, wahre Spitzen oder Zähnchen, Dentelles, oder auch
verfchieden geformte Sternchen, die, aneinander gereiht, zu einem reizenden
Befatz von Gewändern und Schleiern dienen. Der Orientale liebt die Farhe, auch
diefe Spitzen find meiftens färbig und bunt. Aus Gold nehmen fie fich prächtig
aus. Bei aller Feinheit find fie doch dichter als alle anderen Spitzen des Abend-
landes und daher ein Uebergang von dem Gewebe zur durchbrochenen Spitze.
Wir machen die Mufeen für Kunftinduftrie auf diefe Spitzen aufmerkfam.
Diefe Anftalten find zunächft berufen, diefer Arbeit Eingang unter den abend-
ländifchen Frauen zu verfchaffen, indem fie Proben davon in ihre Sammlungen
aufnehmen und zur allgemeinen Anfchauung bringen.
Im Oriente vertritt das gazeartige, durchfichtige Gewebe als Schleier und
Oberkleid die Spitze. Diefes Gewebe trägt dann eine zarte Stickerei, meift aus
Goldfäden, welche die Zeichnung der Spitzen bilden. Kommt die Spitze vor, wie
es in der chinefifchen Abtheilung der Fall ift, fo ift es in der Form der ausgezo-
genen Arbeit, wobei ftellenweife das Gewebe verdünnt wird durch das Ausziehen
einzelner Fäden und die übrigen Fäden fo verknüpft und angeordnet werden, dafs
eine Zeichnung entfteht. Diefe Arbeit führte zum rechtwinkligen oder fchrägen
Netz, deffen Mafchen man in einer Weife ausfüllte, dafs die Füllung eine Zeich-
nung bildet.
Wenn wir aus den Proben, welche die Wiener Weltausftellung zur über-
fichtlichen Anfchauung brachte, den Urfprung der abendländifchen Spitzen aus
dem Oriente auch nicht nachweifen können, fo nehmen doch die Kunftforfcher,
wie Nardi, an, dafs die Italiener die Verfertigung der Spitzen von den Saracenen
in Sicilien und die Spanier von den Mauren gelernt haben, und in der That