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Dr. Ferdinand Stamm.
Eine andere Abtheilung der Spitzen bilden alle Arten, wo der Grund ent-
weder mit der Hand oder mit der Mafchine befonders angefertigt wird und dann
von der Hand die Zeichnung unmittelbar hineingeftickt oder befonders mit der
Nadel oder auf dem Klöppelkiffen gearbeitet und auf den Grund eingefetzt oder
mit dem Netze eines Grundes verbunden wird, die Application, Chantilly und
andere Spitzen.
Hier können fich die Mafchine und die Hand durch geordnete Arbeits-
theilung oder auch durch die gemeinfame Betheiligung an einem Werke oder
Arbeitsftücke verföhnen. Nur in Frankreich fchreitet die Annäherung am meiften
vor. Freilich wird man dann dieNamen echte und unechte Spitzen, welche bisher
Hand und Mafchine trennten, müffen fallen laffen; es ift eben ein Mittelglied
dazwifchen getreten.
Aus Grofsbritannien ift nur wenig an Handfpitzen ausgeftellt, aber
immerhin Vorzügliches, welches beweift, dafs diefe Induftrie noch immer den alten
hohen Rang einnimmt. Neues fällt darunter nichts auf, es wären denn die
mit einem Schiffchen genetzten „Frivolites“ welche in der englifchen Abthei-
lung als Schularbeiten ausgeftellt find. Diefe Arbeit kommt auch unter den
Dilettanten- und Schülerarbeiten anderer Länder, namentlich in Oefterreich.
vor. Sie verfprechen als eine „frivole* Laune der Mode wenig Dauer und
find denn doch zu luftig. Auch ihre Technik läfst keine fchöne Zeichnung
ausführen. Wir überlaffen es übrigens einer anderen Feder, darüber des Wei-
teren zu fprechen.
Den gröfsten Fortfchritt in der Handfpitze hat feit der letzten Welt.
ausftellung in Paris Oefterreich gemacht, wie die Ausftellung aus dem böh
mifchen Erzgebirge zeigte.
Wenn fich dafelbft auch trotz der Concurrenz der Mafchinenfpitze eine feit
Jahrhunderten gegründete Induftrie von Handfpitzen erhalten hatte, fo verfäumte
fie, fich mit der Kunft zu verbinden und durch gefchmackvolle Zeichnung die
mühfame Arbeit zu veredeln, wodurch ja eben die Handarbeit in Frankreich und
Belgien fich gegenüber den Mafchinenfpitzen ihr Gebiet ficherte.
Das wurde nun in der letzten Periode eingeholt. Die Regierung und
Vereine gründeten Mufteranftalten und Zeichenfchulen. Viele Taufende gefchickte
Klöpplerinen und Spitzennäherinen waren in kurzer Zeit auf die in Belgien
ausgebildete Technik der verfchiedenen Arten der Handfpitze eingearbeitet. Die
muftervolle Zeichnung kam durch die kunftfertige Hand der Arbeiterine: zur
vollen Wirkung und die in Handel gebrachten Spitzen aus dem Erzgebirge waren
von den belgifchen nicht zu unterfcheiden. Die Ausftellung in der öfterreichifchen
Abtheilung konnte die Befucher davon überzeugen. Vier Arbeiterinen aus dem
Erzgebirge, welche in der Ausftellung felbft die verfchiedenen Spitzenarbeiten
ausführten, zeigten zugleich die hohe Stufe der Kunftfertigkeit, welche unter
Taufenden verbreitet itt.
Die Mafchinenfpitzen.
Es find nahezu hundert Jahre, dafs der erfte Webituhl für den Spitzengrund,
und vierundfechzig Jahre, dafs die Bobbinetmafchine erfunden wurde. Neben
ihr hat fich die Handfpitze in der Hausinduftrie erhalten und ift das Handfpitzen-
Gewerbe zu einer neuen Blüthe gediehen. Das mag beweifen, dafs fie neben
einander beftehen können, gefichert und friedlich.
Nur im Anfange des Kampfes entftand Verwirrung, weil der Markt die
beiden Waaren vermengte und die Käufer fie verwechfelten. Wenn fich die
Mafchinenfpitze für echte Spitze ausgab und zehnmal billiger war als die Hand-
fpitze, fo mufste die letzte ungekauft liegen bleiben. Allein die Käufer kamen
bald von der Täufchung zurück, Schon die gröfsere Feftigkeit der Handfpitze
gibt ihr einen Vorzug.