Full text: Schuhwaaren (Heft 64)

   
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T2 Dr. C. Th. Richter. 
duftrie, in Brafilien, wie es fcheint, dagegen nur die Leiftung eines einzelnen, mit 
zartem Naturfinn begabten Individuums wäre. 
Was die Haare, den Haarhandel und die Kunft des Frifeurgewerbes anbe- 
langt, fo haben wir fchon oben erwähnt, dafs diefes Gebiet im Laufe der Jahr- 
hunderte und mit der Entwicklung der Cultur, der Ausgleichung‘ der gefellfchaft- 
lichen Claffen an Bedeutung viel eingebüfst hat. Im fernften Alterthume, wie 
heute noch bei allen wilden Völkern, denen wir in Amerika, im Innern Afrikas 
und auf den Infeln des ftillen Oceans begegnen, bilden Haar und Bartwuchs einen 
beftimmten Theil des Gewandes, fo weit diefs eben auch zum Ausdruck der 
gefellfchaftlichen Verfchiedenheit fich emporringt. Den FEgyptern ift vor 
mehr als drei Jahrtaufenden die Frage fo wichtig, dafs ein beflimmtes Gewerbe, 
eine Kafte fich bildet, jene der Haarkünfller. Und nicht nur der Schnitt des 
Haares und des Bartes, die kunftvolle Perrücke wird ein nothwendiges Gewand- 
ftück für Mann und Weib. Sie ift in ihrer erften Erfcheinung keineswegs eine 
Putzfrage oder ein Mittel, die Blöfsen des Hauptes zierend und zugleich wärmend 
zu decken, fondern ein gefellfchaftliches Abzeichen, Ausdruck der Kafte. So bei 
den Egyptern und bei den Arabern, wo felbft die doppelte Perrücke erfcheint 
und die Strabo und Polybius noch bewundern und ausführlich befchreiben. Achn- 
lich ift der Perrückenluxus des XVIL: und XVIII. Jahrhunderts viel weniger eine 
Schmuck- und Modefrage, fondern der Ausdruck eines focialen Bedürfniffes, den 
ftändifchen, vor Allem den amtlichen Unterfchied zur Geltung zu bringen. 
Und gerade in diefer Bedeutung ragt die Perrücke mit der Bewahrung der 
alten Parlamentsgebräuche in England, der Juftizgebräuche in Frankreich, ein 
grofser Widerfpruch mit unferem fonftigen Leben, noch bis in die Tage der 
Gegenwart. Wie zahlreiche Gefetze fchon im XII. Jahrhundert nach den ver- 
fchiedenen Ständen die Länge der Schuhfchnäbel beftimmen, fo beftimmen zahl- 
reiche Perrückenordnungen fpäterer Zeit Recht und Anfpruch der verfchiedenen 
Stände auf das ländifche Abzeichen. 
Als Schmuck- und Putzmittel tritt die Perrücke in allen Formen als ein- 
fache Perrücke und Bedeckung des Glatzkopfes bei den Männern, als Haarver- 
mehrung und Chigron viel fpäter auf. Ich meine mit der fpäteren Zeit keineswegs 
die unfrige. In Egypten fchon erfcheint fie mit der Verweichlichung der Sitten, 
in Rom mit dem durch das Auftreten der Germanen Mode werdenden blonden 
oder rothen Haare. Die Gallier, die Urväter der heutigen Franzofen, und die 
Juden treilen neben dem Handel mit Schminke, Seife und Pomade den Haar- 
handel nach Rom und Italien. In diefer Zeit beginnt auch in Europa, wie es in 
früheren Jahrhunderten die Afıaten geübt hatten, — die jüdifchen Frauen, trotz 
Jefaias Warnung, — das Färben der Augenbrauen, Wimpern, Bart- und Haupthaare. 
Und wieder benützten es blos die Edleren und Befferen des Volkes, als ob alle Cultur- 
ftufen dem Gedanken nachhingen, dafs der edler Geborene auch edler erfcheinen 
müffe. Lavater’s phyfiognomifche Studien erfcheinen als ein fehr matter theoreti- 
fcher Wiederfchein einer Jahrtaufende alten Praxis. 
Betreffs der Form der Perrücke und der falfchen Haare als Putz- und 
Schmuckmittel hat die fonftige Culturentwicklung der Menfchheit an der Behaup- 
tung barbarifcher Gewohnheiten bis in unfere Tage nichts geändert. Freilich ift die 
Bedeutung diefer Erfcheinung viel nebenfächlicher, als die früher erwähnte. Das 
Frifeurgewerbe ift dadurch aus der Reihe der nothwendigen und einft bevor- 
zugten Gewerbe ausgefchieden und dient heute, wie manch’ andere gewerbliche 
Richtung, den Launen und dem Wechfel der Mode. Die Verfuche im Haar- und 
Bartwuchfe oder Schnitt ein fländifches Abzeichen zu erhalten, gehören in unferen 
Tagennoch der Phantafie der römifch-katholifchen Kirche oder wie die Verordnung 
des Jahres 1854 des Minifteriums Thun-Bach in Oefterreich, von demFreilaffen der 
Mundwinkeln bei Militär und Staatsdienern handelnd, den polizeilichen Willkür- 
lichkeiten an. Sie find der Lächerlichkeit anheimgefallen und das Frifeurgewerbe 
     
   
  
  
   
    
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
     
  
  
  
  
  
  
  
  
    
   
  
  
  
      
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
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