Full text: Die Goldschmiedekunst (Heft 88)

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Silberarbeiten. 
Die edlen Metalle haben als Material der Kunft und der Kunftinduftrie 
eine doppelte Eigenfchaft, einmal die plaftifche und fodann die malerifche. Sie 
find durch ihre Giefsbarkeit, Dehnbarkeit, Zähigkeit, durch ihre Fähigkeit, das 
höchfte und zartefte Relief in feinfter und vollendetfter Ausführung anzunehmen, 
in eminentem Sinne zur Plaftik geeignet; ebenfo aber wirken fie durch die Farbe, 
fowohl durch diejenige, welche ihnen eigenthümlich ift, wie durch diejenige, 
welche fie, fei es durch Veränderung, fei es durch Hinzufügung, anzunehmen 
geeignet find. Wir haben daher auch die Silberarbeiten von diefen zwei Seiten 
zu betrachten, in Bezug auf die Form, wie in Bezug auf die coloriftifche, 
Behandlung der Oberfläche, kurz gefagt, in Bezug auf die Farbe. Von erfterer 
reden wir zunächtft. 
Formelle Behandlung und Geftaltung der Silberarbeiten. 
Es läfst fich nicht leugnen, dafs in beiden Beziehungen, in Bezug auf Form 
wie Farbe, die Silberarbeiten im XIX. Jahrhundert auf einen fehr niedrigen Stand- 
punkt herabgekommen waren. Was zuerft die Form betrifft, fo ift die Gefchichte 
ihrer Veränderung und Umbildung feit dem XVI. Jahrhundert als ein fortwähren- 
der Rückgang, als eine ununterbrochene Verfchlechterung zu betrachten. Die 
wohl abgewogenen Gefäfsformen der Renaiffance, die guten Verhältniffe, die 
edlen Contouren, die feine und reiche wechfelvolle Gliederung, die getriebene 
Verzierung fowohl im Ornament wie in den Figuren, die niemals die Linien des 
Contours zerftört, fondern nur den Schwung derfelben erhöht oder fich unter- 
ordnet und in den Rhythmus einfügt — alle diefe unfchätzbaren und zur Schön- 
heit fo nothwendigen Eigenfchaften gingen fchon bis zum Ausgange des XVI. 
Jahrhunderts verloren. Diefes Jahrhundert hatte fich namentlich bei den gröfseren 
Gefäfsen noch eine gewiffe derbe Gefundheit bewahrt, wenn auch Feinheit und 
Reichthum entwichen waren; das XVIII. Jahrhundert aber, das im Geifte des 
Rococo felbft der Symmetrie abhold war, fetzte die gröfste Willkür an die Stelle. 
Unter den unregelmäfsigen, gefchwungenen und ausgefchweiften Linien, welche 
nicht mehr geftatteten, dafs eine Seite der anderen glich, ging unter, was noch 
Gutes aus der Renaiffance übrig war. 
Der Willkür und der launenhaften Geftaltung wurde freilich am Ausgang 
des XVIII. Jahrhunderts wieder ein Ende gemacht, aber was ftatt deffen kam, die 
nüchternen, fteifen, reiz- und phantafielofen Formen, welche der antikifirende 
Gefchmack einführte, war um nichts beffer. Die Imitation der Antike, die dazu 
noch eine falfch verftandene war, löfchte nur die freie Schöpferkraft aus. Als 
nach dem Sturz des Empire auch diefer Gefchmack wieder befeitigt wurde, da 
war es eigentlich mit der Goldfchmiedekunft fchon gänzlich am Ende: der For- 
menfinn verloren, die Erfindung verfiegt, alle feinere Technik aus der Uebung 
gekommen und in Vergeffenheit gerathen. Aus der ganzen Zeit vom zweiten 
Jahrzehent diefes Jahrhunderts bis auf die Erhebung des Gefchmacks in unferen 
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
 
	        
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